Bei den diesjährigen French Open ist bei den Herren der Blick vor allem auf eine Person gerichtet: Jannik Sinner. Der Südtiroler konnte in Melbourne sein erstes Grand-Slam-Turnier gewinnen und hat in Paris nun die besten Chancen, den Thron der Tenniswelt zu erklimmen. Den nächsten Schritt in diese Richtung will der 22-Jährige, der bei seinem 2:6, 6:3, 6:2, 6:1-Achtelfinalsieg über Ofner-Bezwinger Corentin Moutet ab dem zweiten Satz so richtig auf Touren kam und die Fans mit einem souveränen Auftritt berauschte, heute in der Runde der letzten Acht gegen Grigor Dimitrow setzen.

Sinner bildet die Speerspitze im italienischen Herren-Tennis, das sich seit einigen Jahren im stetigen Aufwind befindet. Ein Blick auf die Weltrangliste verrät: Aktuell tummeln sich gleich neun Profis unserer südlichen Nachbarn in den Top 100. Bei den Damen sind es immerhin fünf Akteurinnen unter den besten 100 – und mit Jasmine Paolini steht eine davon sogar im Pariser Viertelfinale. Die mediale Aufmerksamkeit gehört dieser Tage allerdings einer anderen Italienerin: Camila Giorgi.

Vom Erdboden verschluckt

Die 32-Jährige, die sich im Ranking immerhin bis auf Platz 26 nach oben gearbeitet hat (Oktober 2018), beendete vor einem Monat still und heimlich ihre Karriere. Ein Absprung, der viele Fragen offen lässt und sich zu einem wahren Kriminalfall ausgereift hat. So war die vierfache Turniersiegerin (darunter Linz 2018 und Montreal 2021) in den vergangenen zwei Monaten wie vom Erdboden verschluckt und muss sich nun in ihrer Heimat gleich mehreren Vorwürfen stellen: Steuerhinterziehung, Impfpass-Fälschung, Mietrückstand, Diebstahl.

Der Diebstahl soll sich in einer Villa in Calenzano zugetragen haben. Dort hat sich Giorgi, die auf Instagram vor allem ihre männlichen Fans in regelmäßigen Abständen mit Fotos in Unterwäsche begeistert und wo sie auch nach ihrem Verschwinden wieder ein erstes Lebenszeichen aus San Diego absetzte, seit 2018 mit ihrer Familie eingemietet. Allerdings ist die Villa mittlerweile halb leergeräumt. Es fehlen teure Teppiche und edle Möbelstücke. Schaden laut Vermieter, der auch noch sechs ausstehende Monatsmieten beklagt: 100.000 Euro.

Kein Zugriff auf das Preisgeld

Da Villa und Gegenstände offiziell gemietet waren, konnte das Finanzamt nichts pfänden. Daher wurde ein Vollstreckungsbescheid für Giorgis Preisgelder in Höhe von 446.000 Euro erlassen. Aber: Der überraschende Rücktritt verhinderte die Überweisung des Geldes direkt von den Turnierveranstaltern ans Finanzamt. Dort hätte Giorgi, die 2011 ihre Schwester Antonella bei einem Autounfall in Paris verloren hat, übrigens schon für 13. April eine Vorladung gehabt, doch ließ sie den Termin verstreichen. Zudem hat die Italienerin, die mit „Giomila“ ihr eigenes Modelabel führt, ihre Handynummer geändert und ist seitdem außerhalb der Familie für niemanden erreichbar.

Ebenso wie mittlerweile auch ihr Vater und Trainer Sergio, der wie Mutter Claudia gebürtiger Argentinier ist und schon des Öfteren im Visier der Steuerbehörden stand. Die Forderung des Vermieters auf Rückgabe der Möbel schmetterte der Herr Papa mit den Worten „Das war sowieso alles nur Ramsch“ ab. Regeln und Gesetze scheinen Sergio Giorgi grundsätzlich nicht zu tangieren – sein Einfluss dürfte auch auf den Rest der Familie übergeschwappt haben: Auch bei Mutter Claudia und den Brüdern Leandro und Amadeus fehlen Steuererklärungen oder weisen Lücken auf.

„Sie wird Auskunft geben“

Wie es im Fall Giorgi jetzt weitergeht? Ihre Anwälte ließen verlauten: „Sie kommt zurück nach Italien und wird den zuständigen Stellen Auskunft geben.“ Wann das sein wird, ließen die Advokaten jedoch offen. Für Angelo Binaghi, Präsident des italienischen Tennisverbandes, ist die Geschichte auf alle Fälle eine Tragödie. Zudem trauert er ihrem verschenkten Talent nach: „Sie hatte zehnmal mehr Talent als Jannik Sinner. Mit seinem Umfeld wäre sie vielleicht die Nummer eins und nicht die Nummer 30 gewesen.“ Doch das ist derzeit wohl Camila Giorgis geringstes Problem ...