Es gibt nicht viele Radprofis, die bei der Tour de France starten dürfen. Sie sind heuer zum zwölften Mal dabei. Verspüren Sie überhaupt noch Lust?
Bernhard Eisel: Und wie! Die Tour de France besitzt einen eigenen Flair. Sie reizt mich nach wie vor. Jahr für Jahr macht es riesigen Spaß. Auch wenn ich mittlerweile zu den Ältesten im Feld gehöre.

Im Endklassement haben Sie sich jedoch stets im dreistelligen Bereich bewegt. Ist es nicht gegen die Natur der Sache, ganz hinten Spaß zu haben?
Das kommt ja auf den Job innerhalb des Teams an. Meine Aufgabe besteht darin, Cav (Teamkollege und Sprinter Mark Cavendish, Anm.) über die Berge und ins Ziel zu ziehen. Für mich wäre es viel deprimierender, bei einer Bergetappe von Chris Froome stehen gelassen zu werden.

Wann findet man sich mit der Situation ab?
Je schneller, desto besser. Man muss die positiven Aspekte sehen. Hinten bleibt anderseits genügend Zeit, die Landschaft zu genießen und über einige wichtige Dinge nachzudenken. Man blickt außerdem nicht immer direkt in den Hintern des Vordermannes wie üblicherweise im Peloton.

Sie gelten nach Umfragen im gesamten Fahrerfeld als einer der beliebtesten Radprofis weltweit. Warum?
Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass mich bereits jeder kennt, weil ich schon so lange dabei bin. Mit so manchem sportlichen Leiter bin ich nebeneinander im Sattel gesessen. Im Ernst: Im Gruppetto (Nachzügler-Gruppe einer Etappe, Anm.) sage ich immer, dass ich jeden ins Ziel bringe ...

Moment, auch Fahrer von gegnerischen Teams?
Klar. Das spielt für mich keine Rolle. Sie sind darüber sehr dankbar. Und sind wir uns doch ehrlich: Niemand will durch Disqualifikation (alle Fahrer müssen innerhalb einer Karenzzeit das Ziel erreichen, Anm.) einen Konkurrenten loswerden. Aber wenn gewisse Leute respektlos sind, kann ich auch ein Arsch sein.

Ihr Vertrag bei Dimension Data läuft noch bis 2018. Denken Sie über ein Karriereende nach?
Ich habe zwar irgendwann erwähnt, dass ich 2018 aufhören werde. Sollte mir mein Körper nächstes Jahr aber Signale geben, dass ich mein Leistungsniveau halten kann, schließe ich nicht aus, auch 2019 noch dabei zu sein. Ob es heuer meine letzte Tour ist – darüber zerbreche ich mir jetzt nicht den Kopf.

Was wäre die Alternative?
Zugegebenermaßen habe ich mir einen Lebensstil angewöhnt und will diesen meiner Familie bieten. Nach jetzigem Stand werde ich definitiv dem Radsport erhalten bleiben. Aber auf internationaler Basis. Nach so vielen Jahren im Profisport und auf Reisen könnte ich einfach nicht einen herkömmlichen Bürojob ausüben.

Sie haben sich in Klagenfurt und Umgebung auch mit dem Kärntner Katjuscha-Fahrer Marco Haller auf die Tour de France vorbereitet. Sind Sie dabei mit brenzligen Situationen konfrontiert worden, die zuletzt ja zu großen Tragödien geführt haben?
Es gibt gewisse Gegenden, wo man weiß, dass dort irgendwas im Grundwasser sein muss. Man versucht, soweit es geht, einen Bogen herum zu machen. Allerdings ist von Radfahrern auch Zurückhaltung gefragt. Wenn man sich gegenseitig respektiert auf der Straße, dann sollte es auch keine Probleme geben. Oder man sucht sich einfach eine andere Strecke.

Eine diplomatische Haltung. Gelten Sie deswegen als Sprachrohr im Fahrerfeld?
Vielleicht. Ich halte mich mit Postings in den sozialen Medien zurück und bin nicht bei jedem Fahrerstreik dabei. Da kann man nur verlieren.

Wer gewinnt heuer die Tour?
Froome. Alles andere wäre eine handfeste Sensation. Mich hat aber überrascht, wie viele sich heuer eingebildet haben, das Double (Sieg bei Giro d’Italia und Tour de France, Anm.) anzugreifen. Als ob es nicht schwierig genug wäre, Froome bei der Tour zu besiegen.

Ihr Geheimnis für eine so lange Karriere?
Ich bin seit 17 Jahren dabei. Die durchschnittliche Profikarriere dauert vier, fünf Jahre. Wie gesagt, es macht mir noch immer sehr viel Spaß, bei der Tour de France dabei sein zu dürfen. Und außerdem: Ich habe ja nichts anderes gelernt.