Sie sind schon im Morgengrauen nach dem letzten EM-Spiel zurück nach Berlin geflogen. Muss man aus einer so blitzartigen Abreise eine Schlussfolgerung ziehen?

DAGUR SIGURDSSON (überlegt): Nein, nein. Ich fliege einfach nach Hause, werde meine Kinder wieder sehen und beginne wieder zu arbeiten. In einem Finale soll man selbst sein und nicht zusehen.

Ihr Vertrag läuft mit EM-Ende aus. Werden Sie weiter Teamchef bleiben?

SIGURDSSON: Wir haben vor der Euro bereits gesprochen, müssten jetzt neu verhandeln. Es liegt aber nicht nur in unseren Händen. Ich habe in Berlin (Trainer Berliner Füchse, Anm.) ja noch einen weiteren Arbeitgeber.

Aber Sie persönlich, möchten Sie mit unsrem Team weiter arbeiten?

SIGURDSSON: Das ist nicht nur eine Frage, ob ich möchte. Ich habe jetzt zwei oder drei Jahre keinen Urlaub gehabt. Es kommt der Punkt, da ist man leer. Und ich will nichts halbherzig machen.

Aber es sieht so aus, als sei Ihnen diese Mannschaft ganz besonders ans Herz gewachsen?

SIGURDSSON: Ja, ich arbeite sehr gerne in Österreich. Die Rahmenbedingungen sind perfekt. Ich habe einen Luxusjob, muss mich nur um 16 Spieler kümmern. Es wäre unfair zu sagen, dass ich nicht jede Minute genieße.

Haben Sie in den letzten zehn Tagen selbst auch gespürt, welche unglaublichen Sympathien das Handball-Team im ganzen Land erweckt hat?

SIGURDSSON: Ich habe das wirklich nicht mitbekommen. Ich habe keine einzige Zeitung gelesen und kein Spiel mit Kommentar angeschaut.

Ist diese Euphorie vergleichbar mit der Handball-Begeisterung in Ihrer Heimat Island?

SIGURDSSON (lacht verschmitzt): Das ist schon etwas anderes. In Island haben Handballspiele eine Fernsehquote von 82 Prozent. Da fehlen nur ganz kleine Kinder und kranke Leute.

Nach dem Kroatien-Spiel haben Sie gesagt, es sei das beste Spiel einer österreichischen Nationalmannschaft gewesen. Wie sehr am Zenit ist dieses Team?

SIGURDSSON: Man kommt aus so einem Turner immer stärker heraus, als man hinein gegangen ist. Die Spieler sind noch mehr zusammengewachsen. Es ist egal, wer die Leistung bringt, nur der Erfolg zählt. So eine Harmonie muss man erst schaffen.

Gibt es dafür ein Rezept?

SIGURDSSON: Die Harmonie ist aus dem Inneren der Spieler gekommen. Das kann man nicht organisieren. In der Vorbereitung haben wir Dinge gemacht, die so etwas fördern. Wir waren bei mir zu Hause in Island. Dort haben wir uns nur zu 20 Prozent mit Handball beschäftigt, 80 Prozent waren Teambuilding. Wenn der Erfolg da ist, hat man alles richtig gemacht. Wenn nicht, muss man so etwas rechtfertigen.

Haben Sie jemals gezweifelt?

SIGURDSSON: Eigentlich nicht.

Auch nicht nach den Niederlagen in der Vorbereitung?

SIGURDSSON: Bei meinem Amtsantritt vor zwei Jahren haben wir Deutschland geschlagen. Da bekamen wir Selbstvertrauen. Danach hatten wir viele Verletzte, viel Höhen und Tiefen. In der letzten Phase haben wir teilweise unnötig hoch verloren, aber gut gespielt. Daher hat uns das nichts vom Mut genommen.

Auf "Facebook" gibt es sogar eine neue Gruppe gegen die Skandal-Schiedsrichter im Kroatien-Match. Wie sehr regen Sie die beiden Herren noch auf?

SIGURDSSON: Ich ärgere mich, das wir keinen Punkt geholt haben. Was dabei passiert ist, spielt heute keine Rolle mehr.

Was muss Österreich tun, um den Schwung dieser "Euro" mitzunehmen?

SIGURDSSON: Es ist zwar nicht meine Aufgabe, aber ich möchte helfen. Der österreichische Handball liegt mir sehr am Herzen. Es läuft aber wie überall alles übers Geld. Wir haben Sponsoren gezeigt, dass wir Gegenleistung bringen können. Mit dem Geld müssen die Vereine und der Nachwuchs unterstützt werden. Man darf nie vergessen, ein heute Sechsjähriger kann in zehn Jahren schon im Team spielen.

Träumen Sie weiter, eines Tages in Island Teamchef zu sein?

SIGURDSSON: Es wurde mir ja bereits einmal angeboten, aber ich habe mich damals für Österreich entschieden. Außerdem werde ich erst 37, Teamchef in Island kann ich mit 47 oder 57 auch noch werden.