Olympische Jugendspiele in der „Heimat“ Olympias. Ist das auch für Sie etwas Besonderes, Herr Präsident?

THOMAS BACH:Es ist etwas Besonderes, Olympia hier in Lausanne, wo das IOC seit über 100 Jahren seinen Sitz hat, zu haben. Keine Frage. Es ist auch für die Athleten ein besonderes Gefühl, weil man hier in lausanne den „Olympic Spirit“ fühlt.

Wir sitzen gerade in einer Zahnradbahn auf dem weg zurück von einer neuen Sportart: Ski-Mountaineering. Lacht da ihr Herz?

Nicht nur hier tut es das. Es zeigt, warum wir die Jugendspiele haben, sie dienen auch als eine Art Laboratorium für neue Sportarten. Wie kommen sie bei der Jugend an? Einen Schneeevent ganz sehen zu können, das gibt es ja sonst nur bei ein paar wenigen Slaloms. Ich versuche, alle Disziplinen zu sehen, auch in St. Moritz. Da gibt es ja auch Neuerungen, dort gibt es den Monobob – leider wird sich das Eisschnelllaufen am See nicht mehr ausgehen. Die Bilder, die ich gesehen habe, sind wirklich spektakulär.

Wenn wir schon bei den Jugendspielen sind. Das, was Lausanne ist, ist das so, wie Sie sich das vorstellen? Einfach? Begeisternd?

Das ist das Konzept unserer Reformen. Zum einen legen wir den Fokus auf den Sport. Weil bisher war es so, dass man, wenn man zehn Leute über die Jugendspiele befragt hat, 15 verschiedene Antworten bekommen hat. Deswegen haben wir uns ja bei den Reformen darauf geeinigt, Prioritäten zu setzen. Und erste Priorität ist der Sport. Zum zweiten sind die Jugendspiele eine gute Gelegenheit, neue Sportarten und Disziplinen auszuprobieren, man kann sie  als eine Art Laboratorium nützen. Und der dritte Punkt war, wie man die Jugendspiele inklusiver machen kann, sie näher an die Leute bringen kann. Die Zuschauer sollen nicht nur Zuschauer sein, sondern Teil der Spiele sein. Das ist hier für den Winter gut gelungen.

Teile dieser Initiativen werden wir auch in Tokio sehen, wie neue Sportarten. Gleich fünf, das war ein Kraftakt, den wir da unternommen haben. Aber auch den Teil, der Bevölkerung Programme anzubieten, wo sie selbst den Sport probieren können.

Haben Sie das Gefühl, dass die gesamte olympische Bewegung den Weg zurück zu den Menschen geschafft hat? Man hat oft das Gefühl, dass die Beziehung Europa – Olympia, im Gegensatz zu Asien oder Südamerika, schwierig ist, das Vertrauen fehlt. Stimmt dieser Eindruck?

Europa ist in jeder Hinsicht ein zögerlicher Kontinent, nicht nur im Sport und was Olympische Spiele betrift. Wenn Sie sich die wirtschaftliche, politische, soziale Entwicklung anschauen, ist schlichtweg Asien ein paar Schritte voraus in einer dynamischen Entwicklung. Sport ist Teil der Gesellschaft, deswegen gibt es in der Tat diese Unterschiede, zumindest in einigen europäischen Ländern. Dort steht man Zukunftsentwicklungen sehr skeptisch gegenüber und steht. Und wo man selbst Investitionen für die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung sehr kritisch gegenüber steht.

Eines Ihrer Ziele war, das IOC transparenter zu machen, nicht korrumpierbar. Sind Sie mit dem zufrieden, was gelungen ist?

Was die Korruption betrifft, sind wir enorm zufrieden. Was Korruption und Governance betrifft, sind wir ja als treibende Kraft anerkannt, haben große internationale Kooperationen initiiert, wo wir mit vielen Regierungen zusammenarbeiten, mit den Vereinten Nationen, mit Interpol und Europol zusammenarbeiten. Und ich war gerade erst bei deren Kongress, wo von allen Seiten diese Führungsrolle des IOC anerkannt worden ist.

Und doch sind Sie als Person gerade in Ihrem Heimatland Deutschland nach wie vor und zusehends scharfer Kritik ausgesetzt.

In meinem Heimatland gibt es eine Handvoll Medienschaffende, für die habe ich in den letzten 15, 20 Jahren keine richtige Entscheidung getroffen. Da müsste ich mir fast eher Sorgen machen, wenn Lob von dieser Seite kommen würde.

Also kein Gram? Sondern eher Ansporn?

Weder noch.

Kommen wir zur Politik, zur Russland-Causa. Da ist viel Politik im Spiel. Steht auch der Internationale Sportgerichtshof CAS unter politischem Druck, wenn er jetzt den Einspruch Russlands gegen die im Raum stehende Sperre behandelt?

Nein. Der Sportgerichtshof ist unabhängig und muss auch eine Entscheidung treffen. Wir als IOC haben nur zwei Anliegen: Erstens muss die Entscheidung möglichst schnell kommen. Und sie soll absolut eindeutig sein und keinerlei Spielraum für irgendwelche Interpretationen lassen.

Wir schaut das jetzt aus in der Beziehung mit Wladimir Putin. Ruft der dann an und sagt: Thomas, das lassen wir uns so nicht gefallen?

Das ist doch nicht so. Wir arbeiten mit allen Regierungen in Gastgeberländern und mit vielen Staats- und Regierungschefs gut zusammen. Da gibt es viele regelmäßige Treffen. Die habe ich mit Präsident Macron und anderen genauso. Ich weiß gar nicht, wie viele Staatschefs ich  vergangenes Jahr getroffen habe, wahrscheinlich mehrere Dutzend. Das ist Teil unserer Arbeit. Da gibt es keine nähere Beziehung zu einem als zu anderen.

Zweite Baustelle ist die Problematik im Gewichtheber-Weltverband, bei dem es, wenig überraschend, um Doping und Verwicklungen von Funktionären geht. Wäre es an der Zeit, ein Exempel zu statuieren und eine Sportart komplett auszuschließen?

Wir haben doch  schon ein Exempel statuiert, die Teilnehmer-Quoten für Gewichtheber bei Olympia wurden um 40 Prozent reduziert, der Internationale Verband wurde unter Beobachtung gestellt. Und wir haben die Suspendierung des Gewichthebens für die Spiele 2024 in Paris nur unter Vorbehalt aufgehoben. Und das auch nur in Zusammenarbeit mit der WADA, die uns bescheinigt hat, dass unter unserem Druck Gewichtheben sein Anti-Doping-Programm verbessert hat. Im Moment kann man von einem funktionierenden Programm ausgehen. Und die WADA wird den Gewichtheberverband besonders genau beobachten, das ist ihre Aufgabe.

Trotz aller Krisen lukriert das IOC aber mit dem Marketing mehr als je zuvor – und wird auch dafür kritisiert. Sehen Sie Grenzen in der Kommerzialisierung?

Wir haben ja wohl die striktesten Grenzen von allen Sportveranstaltungen, was das anbelangt. Bei Olympia gibt es keine Werbung. Und ganz wichtig: Geld ist für uns nicht das Ziel, es ist Mittel zum Zweck. Ja, wir brauchen Geld und ja, wir erzielen hohe Einnahmen. Aber die erzielen wir, um unsere Mission erfüllen zu können. Und das heißt, alles 206 Olympische Komitees und damit alle Athleten weltweit zu unterstützen. Deswegen geben wir 90 Prozent aller unserer Einnahmen sofort weiter zur Förderung der Athleten. Das ist unser Ziel.

Aber der Erfolg des Marketingsprogramms ist ja für uns auch ein Teil der Antwort auf ihre vorhergehende Frage nach dem Vertrauen, nach der Skepsis: Keine dieser großen Sponsoren oder Fernsehanstalten würde mit dem IOC Verträge bis ins Jahr 2032 unterschreiben, wenn es nicht vollstes Vertrauen in die Spiele und in das Management des IOC vorhanden wäre.

Stichwort Vertrauen? Besteht Chance auf Spiele in Österreich?

Das hängt von den Österreichern ab. Wenn man Spiele will, worüber sich sehr viele, auch außerhalb Österreichs freuen würden, dann muss man mit dem IOC in Dialog treten. Ich habe hier keine Ratschläge zu geben, das liegt in der Hand der Österreicher und Österreicherinnen.

Wie geht es mit den neuen Sportarten weiter?

Bei allen Neuerungen haben wir immer darauf geachtet, dass der Deckel drauf bleibt – das sind 10.500 Athleten. Das muss auch die neu zugelassenen Sportarten beinhalten. Wir haben dazu ja immer zwei Voraussetzungen für neue Sportarten: Das eine ist Geschlechterparität und dass es keine neuen Sportstätten geben darf, für die es keine klare Nachnutzung gibt.

Bei der Session hier in Lausanne wurde auch FIFA-Präsident Gianni Infantino kraft seines Amtes zum IOC-Mitglied gewählt. Wie geht es mit dem Fußball bei Olympia weiter? Gibt es hier eine Änderung? Kommen die "großen" Namen?

Wir diskutieren das mit der FIFA, das ist nicht einfach. Man muss ich nur den Fußballkalender anschauen und die Vorhaben verschiedener Institutionen, noch mehr Wettbewerbe einzuführen. Wir werden diese Diskussion nach Tokio 2020 führen, dann haben wir auch Zeit dafür.

Neuer Sportarten – sie haben sich hier auch mit dem Thema E-Sports beschäftigt, olympisch wird es nicht. Vorerst?

E-Sports ist ein soziales Phänomen, das sehr attraktiv ist für die jüngere Generation und das wir deswegen nicht ignorieren können. Wir haben den Anspruch und die Vision zu einer besseren Gesellschaft durch Spotr beizutragen. Will man das, muss man mit der Gesellschaft in Dialog treten und Entwicklungen wahrnehmen. Wir leben ja nicht auf einer Insel, wir sind mittendrin, deswegen ist der Austausch wichtig. Das ist auch im Interesse der E-Games-Industrie.

Industrie und Sport, passt das?

Das ist schon eine der Herausforderungen, ja. Wir sehen uns einer Industrie gegenüber, sind aber selbst eine wertebasierte Organisation.

Und das heißt, dass es auch rote Linien gibt?

Es gibt eine klare rote Linie! Gewaltverherrlichende Spiele, Killerspiele oder Spiele, die diskriminierende stehen klar jenseits einer roten Linie. Aber es gibt Spiele, die die Realität wiedergeben. Man kann ja heute schon auf dem eigenen Fahrrad eine Etappe der Tour de France fahren, auch gegen Freunde. Das ist Sport, da kann es keinen Zweifel geben. Der einzige Unterschied ist, dass sich das Fahrrad nicht bewegt, die Wettbewerbssituation bleibt die gleiche.

Das schafft also Möglichkeiten für das IOC?

Nicht nur. Wir machen die internationalen Verbände auch aufmerksam, dass es in ihrem Interesse liegt, auch diese Art von Sport einzubinden. Man sollte der Regulator sein, Regeln festlegen, Fairplay überwachen. Beobachten, wie es mit Doping und sonstiger Manipulation steht. Dort ist großes Potenzial. In den anderen Bereichen – die rote Linie ist definiert und gezogen –

Es geht um Menschen und Athleten. Die professionellen Gamer kann man mit Athleten in traditionellen Sportarten vergleichen. Die haben auch die gleichen Probleme wie unsere Athleten. Sie leiden beispielweise an Burnout, haben mentale Probleme. Sie fragen sich, was sie nach der Karriere machen sollen. Da wurden wir um Rat gefragt – und werden unser Know-How zur Verfügung stellen.

Apropos Athleten: Auch da regt sich Widerstand Einige sagen, dass sich Olympia von den Bedürfnissen der Athleten entfernt hat. Stimmt das?

Also: „Die“ Athleten. Man wird immer kritische Stimmen finden. Aber wenn Sie wissen wollen, wie sich Athleten fühlen, dann gehen Sie hier einmal herum und schauen den jungen Athleten in die Augen. Sehen Sie sich das Strahlen an und fragen Sie, wie sie sich fühlen und was sie von unserem Angebot halten!

Und doch gibt es auch Kritik an den neuen Verhaltensregeln.

Das ist die Frage nach politischer Demonstration. Das ist weitgehend eine Frage des Respekts der Athleten untereinander. Das bezieht sich auf das Spielfeld, die Wettkampfstätte und die Zeremonien. Außerhalb dessen können sich die Athleten sich vollkommen frei äußern. Sie können in der Pressekonferenz sagen, was sie wollen, auch über ihr Land. Aber bei den Zeremonie fordern die Athleten selbst den Respekt ein! Diese Regeln sind ja nicht vom IOC gemacht worden, sondern von der Athletenkommission. Die Athleten wollen den olympischen Moment genießen und nicht dadurch abgelenkt werden, ob der Athlet daneben seinen Präsident mag oder nicht.