Ich gebe es zu: Ich habe langsam ein Problem mit Marcel Hirscher. Mir, und da bin ich nicht alleine, gehen einfach die Superlative aus. Es ist unglaublich, diese Präzision, diese Perfektion, das ist der Teil an Hirscher, der einem wirklich schon fast Angst machen kann. Er ist einfach perfekt – und er kann immer alles abrufen, wie ein Uhrwerk. Und das ist der Punkt: Auch wenn Marcel körperlich beeindruckt, immer fit ist, das schaffen mehrere. Aber rein psychisch ist seine Leistung mindestens gleich hoch einzuschätzen und da steht er ziemlich alleine da. Der Druck, den er immer wieder spürt, obwohl es so aussieht, als ob er gar nicht nervös ist, ist enorm. Und jedes Mal muss er das aufs Neue machen, jedes Wochenende wieder das ganze Prozedere durchlaufen und, so maschinell das klingt, liefern. Bei ihm ist es egal, ob das Rennen in Alta Badia, in Schladming oder eben bei Olympia ist: Dieser Mann ist immer gleich angespannt, immer nervös. Das ist für mich der wahre Wahnsinn, Rennen für Rennen zu wissen, dass die Nation wartet, und trotzdem nicht daran zu zerbrechen. Da frage ich mich oft: Wie lange kann man das eigentlich aushalten? Das alles kostet so viel Energie, aber irgendwo scheint er eine Quelle zu haben, die nicht versiegt.
Rein skifahrerisch ist er ohnehin eine Augenweide. Ein einziges "Bremserl" gab es im zweiten Lauf, aber selbst da sieht man den Unterschied. Ein Hirscher wird danach nicht gierig, wenn er einen Schnitzer macht, hat er auch den im Griff, er löst die Situation, bleibt geduldig und man merkt fast, wie er sich sagt: So, jetzt schauen wir, wie wir das Tempo langsam wieder ins Rennen bringen, er gibt nicht unnötig Gas. Er ist so abgebrüht, hat so eine Coolness, das ist eine ganz andere Ebene, die er da im Vergleich zu anderen im Kopf erreicht. Eines ist für mich klar: Es mag eine Zeit kommen, in der es nicht mehr so gut läuft für Österreichs Skifahrer. Spätestens dann werden wir alle wissen, was wir sportlich an Hirscher haben.
Dominanz und Frustration
Die Leidtragenden im Moment sind die Gegner, bei denen ich langsam Verzweiflung erkenne. Alexis Pinturault sprach mit mir selten so offen wie hier, erklärte mir, wie er anglühen wollte und musste – im Wissen, nur so eine Chance zu haben, im Ansatz mit Hirscher mitzuhalten. Die Folge: Ein Verdreher hier, ein Wegheben da, Zeitverlust. Natürlich redest du dir als Gegner ein, dass du das auch kannst, dass Hirscher nicht unschlagbar ist. Gut so, denn wenn man aufgibt, hat man ohnehin schon verloren. Ich weiß selbst, wie frustrierend es mitunter war, als Hermann Maier so dominant war. Und doch bleibt da immer der letzte Funken Hoffnung, dass es doch umschlägt, dass du derjenige bist, der ihn biegt. Henrik Kristoffersen ist so ein Typ, der ist 23 Jahre jung, wie er den Schalter aber umgelegt hat im zweiten Lauf, das zeigt, dass er auch ein ganz Großer ist.
Und im ersten Lauf haben wir mit Manuel Feller einen gesehen, der ebenso schnell Ski gefahren ist, der das Hirscher-Niveau erreicht hat, nur hat er es nicht über die letzte Welle gebracht. Und genau das passiert einem Hirscher nie. Auch Stefan Brennsteiner fuhr im zweiten Lauf sensationell, zeigte endlich, was er im Training fährt. Großartig. Und doch waren diese beiden der Grund, warum viele im österreichischen Gewand an diesem Tag trotz Hirscher keine Freude hatten. Feller bezahlte seinen Fehler mit einem Schleudertrauma, Brennsteiner erlitt wohl den dritten Kreuzbandriss seiner Karriere. Da spielen sich wahre Dramen ab, bis in den Skikeller. Da leide auch ich mit. Perfektion gibt es leider nur bei Hirscher, wie es scheint.