Vor drei Jahren erlebten die Spiele von Tokio eine ganz neue Art von Unglück. Da war nicht nur die Pandemie, inmitten derer die Sommerspiele erstmals in ihrer Geschichte vor weitgehend leeren Rängen stattfanden. Plötzlich konnte auch einer der Topstars nicht mehr mitmachen. Simone Biles, mehrfache Goldmedaillengewinnerin, zog sich von den meisten Wettbewerben zurück und gab als Grund ihre mentale Gesundheit an.

In Paris will man daraus gelernt haben. Das Olympische Dorf verfügt erstmals über eine „Athlete365 Mind Zone“, wo Achtsamkeit und Entspannung im Fokus stehen. Neben VR-Headsets für Meditation können sich Sportler dort in Ruhe künstlerisch ausleben – alles bei gedämmtem Licht und geringer Lautstärke. „Genau wie man vorm Wettkampf kein Fastfood essen sollte, ist es auch nicht gut, Videogames zu spielen oder zu viel soziale Medien zu konsumieren“, erklärt Laurent Dalard, Gesundheitskoordinator der Spiele.

Datenunternehmen filtert Social-Media-Einträge

Wobei die Olympiaorganisatoren für den Umgang mit sozialen Medien noch eine weitere Maßnahme getroffen haben. Eine Künstliche Intelligenz soll dabei helfen, solche Posts herauszufiltern, die Athletinnen und Athleten verbal misshandeln, beleidigen oder bedrohen. Hierfür werden die Dienste des britischen Datenunternehmens Signify.ai eingesetzt, das einen Filter auf Plattformen wie Facebook, Tiktok oder X (ehemals Twitter) auf 35 Sprachen anwendet.

Hintergrund sind Fälle wie Simone Biles. Die Psychiaterin Marion Leboyer erklärte gegenüber dem auf Olympische Spiele spezialisierten Onlineportal Insidethegames.biz: „Ungefähr einer von drei Athleten erfährt Probleme mentaler Gesundheit.“ Was einst Tabu war, gilt allmählich als Thema, über das man sprechen kann. Mit der japanischen Tennisspielerin Naomi Osaka und dem australischen Schwimmer Ian Thorpe machten zuletzt mehrere Weltklassesportler Depressionen und ähnliche Probleme öffentlich.

Wegen enormer Drucksituationen, mit denen die Athletinnen und Athleten zu kämpfen haben, haben Gesundheitsexpertinnen den Einsatz von Filtersoftware wie jener von Signigy.ai überwiegend gelobt. Schließlich nutzen auch die Athletinnen und Athleten soziale Medien in oft ausufernden Maßen und verfolgen Posts, die sie selbst zum Thema haben, nicht selten mit besonderer Aufmerksamkeit. „Alles, was gesetzeswidrig ist, wird an die entsprechenden Behörden weitergeleitet“, heißt es von Organisatorenseite.

Olympia als Testfeld technologischer Innovation

Häufig gelten Olympische Spiele als Testfeld für den Einsatz technologischer Innovationen, die in der Folge dann auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen eingesetzt werden. Beispiele hierfür sind TV-Liveübertragungen, die es bei Olympia erstmals 1964 aus Tokio gab, oder G5-Internet, das 2018 in Pyeongchang seinen Testlauf hatte. Immer wieder hat Olympia aber auch der Überwachung der Bevölkerung gedient.

Und bei einer KI, die die sozialen Medien beobachtet, könnte es auf etwas Ähnliches hinauslaufen, fürchtet Jules Boykoff, Politikprofessor an der US-amerikanischen Pacific University und Olympiakritiker: „Solche Aufgaben können auch von Menschen erledigt werden, wenn man sie bezahlt.“ Vielleicht könnten sie das sogar besser glaubt Boykoff: „Bei KI gibt es immer wieder falschpositive Ergebnisse. In diesem Fall könnte das eintreten, wenn zum Beispiel Ironie vom System missverstanden wird.“

Wie genau die KI eingesetzt wird, ist unklar. Aber Äußerungen von Usern in sozialen Medien, die etwa mit einem sarkastisch gemeinten Post in Wahrheit eine Sportlerin verteidigt oder gelobt haben, könnten vom System für beleidigend befunden werden. Der betreffende User geriete zu Unrecht in Verdacht. „Ich unterstütze Maßnahmen gegen Mobbing“, beteuert Boykoff. „Aber KI gilt oft als Allheilmittel.“ Und manchmal könne deren Einsatz eher neue Probleme schaffen, als dass er bestehende löst.

Olympische Spiele sind oftmals auch Technologie-Treiber
Olympische Spiele sind oftmals auch Technologie-Treiber © AFP / Pierre-philippe Marcou

Wie effektiv das neue System aus Sicht der Athletinnen und Athleten ist, darüber wird am Ende der Spiele abgerechnet werden. Simone Biles, die in Tokio noch mit Themen der mentalen Gesundheit Aufsehen erregte, glänzt in Paris jedenfalls wieder mit sportlichen Leistungen. Schon zu ihrem Auftakt war die Weltöffentlichkeit von der Eleganz der 27-jährigen US-Amerikanerin angetan.

Die Folgen, die die nun vom IOC eingesetzte KI auch jenseits der Olympischen Spiele noch haben wird, dürften sich dagegen erst in einigen Monaten oder Jahren zeigen – wenn sie auch in vielen weiteren Bereichen Anwendung findet.