Es ist immer alles eine Frage der Inszenierung. Wer die Schwimmbewerbe bei Olympischen Spielen gesehen hat, weiß, was Entertainment, Show und Leistungssport ausmachen. Die Eindrücke, die man in der Pariser La Défense-Arena gewinnt, sind beispielhaft. In Deutschland bewegten die 400 Meter Kraul, jenes Rennen, in dem Felix Auböck erkrankt hinterherschwamm, die Massen: Der Magdeburger Lukas Märtens (22) gewann als erster deutscher Mann seit Michael Groß, dem „Albatros“, der 1988 in Seoul triumphiert hatte, olympisches Gold im Becken, Britta Steffen hatte 2008 das bisher letzte Gold für Deutschland geholt. Eine Parallele zu Österreich: 2008 gewann auch Mirna Jukic über 100 Meter Brust mit Bronze die bis dato letzte rot-weiß-rote Schwimmmedaille.

Die Sommerspiele finden zum dritten Mal 1900 und 1924 an der Seine statt. Es gibt immer diverse Größen, die einem Event ihren Stempel aufdrücken, mit Erfolgen, Persönlichkeit, Auftritten, Glamour oder Sprüchen. In Paris ging so mancher Stern auf. Wer an die 400 Meter Freistil denkt, kommt da um eine Person nicht umhin: Johnny Weissmüller. Der spätere „Tarzan“-Schauspieler, Jahrgang 1902 und geboren in Szabadfalu (Freidorf), einem Stadtteil von Temešvár, damals Habsurger-Monarchie, heute Rumänien, ist fünfmaliger Olympiasieger. In Paris flog er zu Gold über 400 m und 100 m Freistil und mit der Staffel – möglich jedoch nur, weil er mit dem Ausweis seines Bruders Samuel gestartet war und darob als Amerikaner galt.

Tarzan Johnny Weissmüller
Tarzan Johnny Weissmüller © Kk

Das „Wunder aus Chicago“ erblühte im „Stade des Nautique“. Der Teenager, gerade 19, avancierte neben dem Finnen Paavo Nurmi (gewann 1924 fünf Mal Gold) zum Superstar. 100 Jahre später sind ihre Techniken in Show- und Sportwelt unvergessen, bei Märtens ist dahingehend noch Zuwarten gefragt. Seine überlegene Siegerzeit von 3:41,78 Minuten aber imponiert – und der Vergleich mit „Tarzan“ zeigt die Evolution des Sports und seiner Protagonisten (seit 2010 ohne Ganzkörperanzüge). Weissmüller siegte vor 100 Jahren in 5:04,2 Minuten – und seine „frappierende Überlegenheit“ brachte den in Deutschland als „König der Sportjournalisten“ gepriesenen Willy Meisl († 1968) emotionalisiert auf die Palme. Meisl? Richtig: der Wiener war der Bruder von Hugo Meisl, dem legendären Trainer des österreichischen Fußball-„Wunderteams“ und führte Deutschlands Sportjournalismus in neue Höhen.

An Weissmüllers Rekordflut kränkte sich Meisl, dieser habe die „Konkurrenz lächerlich gemacht“, auf den letzten Metern Arme und Beine „geschlenkert“, Teammitgliedern zugewunken. „Weissmüller, stark wie ein Baum, schwimmt mit langen, langsam aussehenden Armzügen, mit ausgiebigen, rasend schnellen Crawlschlägen. Er crawlt schon in der Luft, wenn er vom Starte geht. Sein Rücken liegt merkwürdig hoch im, nein aus dem Wasser, und seine Kraft gestattet ihm jeden Extraspurt.“ In jeder Wiener Kritik schwingt doch ein Hauch Anerkennung.

Lukas Märtens und die heutige Kraul-Technik - der deutsche war über 400 Meter Kraul über eine Minute schneller als Weissmüller 1924
Lukas Märtens und die heutige Kraul-Technik - der deutsche war über 400 Meter Kraul über eine Minute schneller als Weissmüller 1924 © AFP

Mit Weissmüller fand die Kraultechnik, die wir heute kennen, ihren Anfang. „American Crawl“ war Innovation des US-Schwimmers und -Trainers Charles Meldrum Daniels. Pro Armzyklus, also je einem Zug links wie rechts, wurden sechs Beinschläge sozusagen zum „state of the pool“. Weissmüller perfektionierte die Technik, wie eine ZDF-Dokumentation bewegend aufarbeitete. Ob Hollywood-Filme, Unterwäsche-Model: Weissmüller wurde schließlich als „König des Dschungels“ mit einzigartigem Schrei ein Weltstar. Einer, der davor Weltrekorde – 1922 schwamm er als erster Mensch die 100 Meter Freistil unter einer Minute (58,4 Sek.) – gebrochen hatte und anderen Sportlern den Weg in die Filmbranche ebnete. Wie Schwimmer Carlo Pedersoli, der als Bud Spencer berühmt wurde, Tony Danza (Serienheld), Arnold Schwarzenegger, und und und.

Offen bleibt, wohin der Weg von Lukas Märtens führen wird. Und vor allem, wie schnell der Mensch in 100 Jahren schwimmen wird. Zum Schwimm-Superstar von Paris 2024 wird Märtens aber kaum werden: Diese Rolle ist dem jungen Franzosen Leon Marchand vorbehalten, der als neuer Michael Phelps gilt. Über 400 Meter Lagen schlug er schon zu; weit mehr soll folgen.