Ihr habt mit Michael Schumacher den siebenfachen Weltmeister und teuersten Formel-1-Piloten ins Team geholt. Habt ihr die Beachtung dafür bekommen, die man erwartet hat?

NORBERT HAUG: Beachtung wollen wir zuerst einmal durch sportliche Erfolge. Wir sind kritisiert worden, das ist richtig. Aber wir haben uns diese Fahrerpaarung ausgesucht, um Erfolge einfahren zu können. Und ich bin überzeugt, dass die noch kommen werden. Die Basis vom Start weg hätte besser sein können, da haben uns von Anfang an bis zu einer halben Sekunde gefehlt. Aber wir waren, wenn die Bedingungen passen, recht schnell.

Schnell und schnell genug sind zwei Paar Schuhe . . .

HAUG: Die Fahrer sind zufrieden, wir sind mit beiden Piloten zufrieden. Mit Konsequenz werden wir weiter Schritt für Schritt besser werden. Aber man muss realistisch bleiben. Es ist einfach schwierig, so, wie die Formel 1 derzeit aufgestellt ist. Ich will nicht sagen, dass wir mit dritten oder vierten Plätzen zufrieden sind. Aber wir müssen uns ganz bestimmt nicht verstecken.

Mercedes hat aber bestimmt nicht damit gerechnet, ohne einen einzigen Podiumsplatz von Michael Schumacher zum Heimrennen zu kommen?

HAUG: Ich kann's nur immer wieder sagen. Wir sind nicht auf einem Trampelpfad unterwegs. Dass wir enttäuscht wären, wird gerne geschrieben. Ja, aber man muss doch ganz genau die Realitäten einschätzen. Wir arbeiten in einem System, das in 232 Rennen 72 Mal gewonnen hat. Es gibt Ups and Downs. Aber Ross Brawn (Teamchef, Anm.) hat gewonnen, Michael hat gewonnen. Nur Nico noch nicht. Wir alle sind der Ansicht, dass er die allerbesten Anlagen zum Siegen hat. Das wird jeder im Fahrerlager bestätigen, ohne Zweifel.

Sie wurden schon im Vorjahr gefragt, ob Ihr - bei der Überlegenheit von BrawnGP - nicht mit McLaren aufs falsche Pferd setzt. In der zweiten Saisonhälfte hat Brawn nicht mehr ganz die Erfolge gehabt. Und ihr habt Brawn übernommen. Hat es da nicht schon erste Befürchtungen gegeben?

HAUG: Da geht es nicht um Befürchtungen. Das sind doch die ältesten Geschichten im Motorsport. Wer kann schon einen WM-Titel gleich wiederholen. Das ist wirklich nur ganz wenigen gelungen. Das war bei Ferrari einmal so. Aber wer die Formel 1 genauer kennt, weiß, welcher Wettbewerb da herrscht. Da gibt es doch mindestens zehn Autos, die für alles Mögliche gut sind. Und hinten weiter kommen noch ein paar. Force India zum Beispiel. Was hat sich da doch alles geändert. Der Motor ist von uns, das Getriebe von McLaren. Das Auto ist doch auf dem bestmöglichen Standard. Wir haben das Beste aus allen Situationen gemacht, zu einem vernünftigen Preis. Wir haben uns der Aufgabe gestellt, und da sollten wir doch alle recht respektvoll umgehen. Und die Formel 1 ist mehr als Pokale. Sie ist ein Wirtschaftsfaktor, ein Animationsinstrument, ein Wettbewerb. Dem haben wir uns gestellt. Weil wir mit Leidenschaft bei der Sache sind.

Was macht euch so sicher, dass Michael Schumacher wieder wird, was man weitläufig unter Michael Schumacher versteht?

HAUG: Was macht euch so sicher, dass er es nicht wird? Wir werden noch Interviews führen, in dem ich oder Schumacher gefragt werden: Na, das war aber was. Wie habt ihr diese Performance geschafft?

Aber Schumacher hat doch einen Nimbus. Und jetzt fährt er Rosberg hinterher . . .

HAUG: Wie gesagt: Nico zählt zu den schnellsten Fahrern der Branche. Aber nehmt doch den zweiten Qualifying-Teil von Silverstone her. Da war Schumacher vorne. Dazu kommt eine wirklich gute Start-Performance von Michael. Es hat eben nicht immer alles 100-prozentig funktioniert. Und ich sage: in diesem Feld gibt es nicht einen, der nicht Auto fahren kann.

Kann Michael Schumacher sich überhaupt noch so motivieren wie früher einmal?

HAUG: Da gibt es nur eine Antwort. Wer etwas Anderes glaubt, der kennt Michael nicht. Ich habe Michael noch nie mit so viel Glanz in den Augen gesehen. Er hat Freude an der Arbeit. Ich sehe das entspannt.

Gibt es keinen Druck, bis wann Siege kommen müssen?

HAUG: Nein, dass kann man so überhaupt nicht sehen, nicht auf einen fixen Termin festmachen. Es ist ein Entwicklungsprozess, ein schwieriger. Ein vierter Platz in der Konstrukteurs-WM ist nicht ideal. Aber mit den Voraussetzungen, die wir haben, ist das vorerst einmal akzeptabel. Es gibt im ganzen Zirkus keinen, der sagt, vergesst Mercedes

Aber ihr müsst doch bei jedem Sieg von McLaren hin und her gerissen sein?

HAUG: Nein, warum? Wir haben uns von McLaren aus verschiedenen Gründen getrennt. Einer war, dass McLaren an einem Sportwagen-Projekt arbeitet. Wir haben in unserer Modellpalette selbst Sportwagen. Wenn wir selbst nicht gewinnen können, ist mir allerdings ein McLaren-Sieg am zweit liebsten.

Schreibt ihr die heurige Saison schon ab, arbeitet ihr schon am Auto für nächstes Jahr?

HAUG: Nein, wir sind ebenso im Plan wie die Konkurrenz. Da arbeiten einige auf Augenhöhe. Und wir werden sicher nicht das heurige Jahr deshalb vernachlässigen. Ich sehe einige gute Dinge für die Zukunft. Und große Ankündigungen zu machen, ist nicht meine Art.

Würdet ihr - so wie es vielleicht beim WM-Favoriten Red Bull gefordert wird - alles auf einen Fahrer setzen?

HAUG: Nein, würde ich nicht tun. Das kannst nicht machen. Das widerspricht doch völlig dem sportlichen Geist. Man kann nicht nur für ein Jahr denken.

Wer wird also Weltmeister?

HAUG (lacht auf): Wahrscheinlich der, mit den meisten Punkten. So wie in den vergangenen Jahren auch. Aber ich denke, Sebastian Vettel ist derzeit schon ganz gut aufgestellt.