Es ist eine Frage der Höflichkeit, dass sich die drei Erstplatzierten eines Formel-1-Rennens, nachdem sie ihre Boliden im "parc fermé" in Reih und Glied abgestellt haben, gegenseitig zum soeben Geleisteten beglückwünschen. In Sao Paulo wäre Mark Webber zuletzt vermutlich lieber in eine Tiefgarage gefahren, als Sieger Vettel zu gratulieren. Auch die gemeinsame Siegerehrung vermochte beim Australier keine gute Laune zu erzeugen, obwohl Red Bull Großes vollbracht und mit dem Doppelsieg auch die Konstrukteurs-WM eingefahren hat.

Schrittweise

Webber scheint unter der "Meisterschaft in der Meisterschaft" eher zu leiden, während Vettel sich wieder so richtig zum Herzbuben entwickelt hat. Es ist doch gar nicht so lange her, da galt der 23-Jährige nach verpatzten Starts, nach zu großem Abstand hinter dem Safety Car (Ungarn) oder seinen Crash-Attacken gegen Webber (Istanbul) und Button (Spa) als dem Ganzen nicht so richtig gewachsen.

"Es hat sich nichts Großes geändert", sagte Helmut Marko, Red-Bull-Motorsportberater, vor dem Abflug nach Arabien. Man halte am eingeschlagenen Weg fest. "Es kann immer etwas passieren. Ein Motorplatzer, eine verhaute schnelle Runde im Qualifying." Red Bull wolle sich Schritt für Schritt dem zweiten großen Ziel "Fahrertitel" nähern.

Webber mag sich mehr denn je als Nummer zwei fühlen, nachdem sich das Team geweigert hat, ihn in Brasilien schon in die Rolle des alleinigen Verfolgers von Alonso zu bringen. Marko erklärt es noch einmal: "Wir müssen Punkte gutmachen. Und wir haben noch zwei Eisen im Feuer." Marko weiß aber auch, dass weder von Vettel noch von Webber Hilfe zu erwarten ist. Zumindest so lange nicht, bis erst einer der beiden überhaupt keine WM-Chance mehr hat. Aus der gerne zelebrierten sportlichen Rivalität ist fast Feindschaft geworden. "Sprechen tun die beiden fast nichts miteinander", stellte auch Marko fest. Für Red Bull sind weitere Vorteile der immer besser funktionierende F-Schacht, der auf der langen Geraden zum Einsatz kommt, und "dass Alonso mit seinem Motoren-Haushalt ziemlich am Limit ist" (Marko).

WM-Rechnung

So kann die Entscheidungsfindung auf dem Red-Bull-Kommandostand lange brauchen, theoretisch vom ersten Training bis zur letzten Runde. Praktisch schaut es anders aus. "Ich glaube, unser Denkprozess, auf den die halbe Welt wartet, fängt nach den Boxenstopps erst an. Und da wird den Fahrern selbst die Entscheidung überlassen." Zumindest gab Vettel zu, dass er rechnen könne. Also könnte Vettel im Fall der Fälle Webber in der letzten Runden doch vorbeilassen. Weltmeister von Vettels "Goodwill"? Das kann der Australier sicher brauchen...