Um es in Ihren Worten auszudrücken: Finden Sie auch, dass die bisherige Saison eine "riesige Hetz" ist?

NIKI LAUDA: Ja. Nur, die Hetz muss jetzt aufhören. Denn die Leute draußen verlieren den Kontakt. Fernando Alonsos Sieg in Valencia war enorm wichtig. Der Sieger in Barcelona - wie hat er geheißen? - der Maldonado, den kennt doch keiner.

Leidet die Glaubwürdigkeit der Formel 1 darunter, wenn auf einmal jeder gewinnen kann?

LAUDA: Sieben Rennen, sieben Sieger, das war auch für euch Journalisten zum Schreiben eine Hetz. Aber jetzt hätte ich gerne wieder etwas Normalität. Die Leute, die bei der Formel 1 zuschauen, brauchen Leader-Figuren.

Das ganze Reifen-Theater, ist das alles wirklich so dramatisch?

LAUDA: Es ist so dramatisch, dass etwa in Kanada jene Leute, die über den Reifen alles wissen sollten, gar nix gewusst und mit falschen Strategien alles verbockt haben. Der arme Vettel im Auto konnte nichts dafür, dass er dort nicht gewonnen hat.

Können Sie dem Auftrag, den Pirelli offenbar erhalten hat, über die Haltbarkeit der Reifen Spannung zu erzeugen, etwas abgewinnen? Ich meine, im Hightech-Sport Formel 1 wird bewusst etwas produziert, das schneller kaputt wird. Ist das nicht ein Widerspruch? Wie will ich dem Kunden auf der Straße so ein Produkt einreden?

LAUDA: Niemand sucht sich für sein Auto die Reifen danach aus, wie lange sie in einem Formel-1-Rennen halten. Aber es stimmt schon, um einen Imageschaden zu verhindern und etwas mehr Stabilität zu erreichen, bringt Pirelli ab Silverstone (8. Juli, Anm.) auch ein neues Produkt.

Sie geben gerne Prognosen ab. Wie wird die WM in der zweiten Saisonhälfte weitergehen?

LAUDA: Keine Ahnung. Derzeit gibt es das Reifenproblem noch und niemand weiß, ob und wie man es in den Griff bekommt.

Führen Sie auch das Ende der großen Dominanz von Red Bull nur auf die Reifen zurück?

LAUDA: Die Autos wurden durch die Änderung der Diffusoren (aufsteigendes Ende der Bodenplatte, Anm.) aerodynamisch radikal abgespeckt. Das heißt, all diejenigen, die letztes Jahr den Diffusor optimal genutzt haben, haben heuer am meisten verloren. Das, was letztes Jahr Autos wie den Red Bull schnell gemacht hat, wurde verboten. Dadurch ist die Formel 1 enger zusammengerückt.

Vor ziemlich genau einem Jahr haben Sie Michael Schumacher zwischen den Zeilen zu verstehen gegeben, dass es besser wäre, aufzuhören. Hat er Sie eines Besseren belehrt?

LAUDA: Ja! Sein Qualifying in Monaco war Weltklasse. Das heißt, wenn alles passt, gehört er nach wie vor zu den Schnellsten. Siehe letztlich auch in Valencia.

Sie haben einmal gesagt, in einem Red Bull würde Schumacher auf Vettel zumindest drei Zehntel verlieren. Wie viele wären es heute?

LAUDA: Vielleicht nur eine Zehntel. Vielleicht wäre Schumacher auch das eine oder andere Mal eine Zehntel schneller. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass Vettel alles perfekt hinkriegt, ist einfach höher als bei Schumacher.

Auch Vettel sagt man nach, dass er nur perfekt funktioniert, wenn auch sein gesamtes Umfeld perfekt ist.

LAUDA: Im Vorjahr hatte Vettel ein überlegenes Auto und konnte sich spielen. Das hat er heuer nicht. Und damit kommt auch er in alle Höhen und Tiefen des Rennfahrens hinein.