Die ganze Welt blickt nach Österreich – aber so hatte das keiner gewollt. Im ersten Lauf zur Formel-3-Europameisterschaft am Samstagvormittag stockte den Zuschauern am Red-Bull-Ring der Atem. Ein Crash, wohl der spektakulärste dieses Jahrzehnts, sorgte für Entsetzen – und, wie üblich, zugleich für enormes Aufsehen auf Youtube und in den sozialen Netzwerken. Ein Unfall, der wie ein wahr gewordenes Worst-Case-Szenario wirkte.

Fünf Minuten vor dem geplanten Ende des Rennens drehte sich der US-Amerikaner Ryan Tveter (der am Freitag seinen 22. Geburtstag feierte) ausgangs der Gerhard-Berger-Kurve. Er kam auf der Fahrbahn zu stehen, war aber wegen des Staubs praktisch nicht für seine Gegner zu sehen. Der Chinese Peter (Zhie Chong) Li (23) krachte mit voller Wucht in seinen fast stehenden Teamkollegen, sein Auto wurde rund fünf Meter in die Luft katapultiert, fast senkrecht. Der Bolide drehte sich mehrmals in der Luft, drohte bei der Landung noch einmal auf dem Wagen von Tveter und jenem von Pedro Piquet zu landen. Li hing nach dem Aufprall regungslos im Cockpit, die erste Ahnung war schrecklich.

Die Diagnose

Erst nach stundenlangem Bangen kam am frühen Abend die relative Entwarnung aus dem LKH Graz, in das der Schweiz-Chinese geflogen worden war. Diagnose: ein Fersenbruch, der operiert werden musste, und vier gebrochene Wirbel, die aber keine Folgeschäden verursachen sollen. Tveter, der nach dem ersten Schock kollabierte, wurde ebenfalls nach Graz gebracht, kam mit einer Knieprellung aber relativ glimpflich davon.

Wendlinger analysiert

Stunden nach dem Unfall gab es nur ein Thema: den Crash, der alle schockte. Karl Wendlinger, 1994 in Monaco selbst Unfallopfer, analysierte für die Kleine Zeitung das Video. Und der 47-jährige Tiroler versteht, warum Li trotz der riesigen Staubwolke vor ihm nicht vom Gas ging: „So ticken Rennfahrer. Wenn er bremst und dabei von zwei Rivalen überholt wird, bekommt er die ganze Kritik seines Teams ab. Rennfahrer sind nicht darauf programmiert, nur auf Verdacht zu bremsen.“ Dass dieser dramatische Unfall relativ folgenfrei bleiben dürfte, ist laut Wendlinger einer Erfindung zu verdanken: „Das Hans-System, der Nackenschutz, hat unbeschreibliche Verdienste. In den vergangenen Jahren hat es zahlreichen Piloten das Leben gerettet – auch hier! Vor allem für Tveter, dessen Auto von hinten und völlig unerwartet mit enormer Wucht getroffen worden war, war er enorm wichtig.“

Wolff will Mindestalter

Auch Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff stand der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Intensiv verfolgt er die Nachwuchsklassen. Spätestens seit dem Sieg des erst 18-jährigen Max Verstappen in der Formel 1 scheint der Druck auf Junioren immer größer zu werden. Rennfahrer und ihre Väter wirken verzweifelt, wenn die Piloten mit 18 oder 19 Jahren noch in der drittklassigen Formel 3 unterwegs sind. Eine Beobachtung, die auch Wolff gesehen hat – und die ihn auf Nachfrage zu einer Reaktion herausfordert: „Der Druck auf diese jungen Burschen ist zu groß. Es kann nicht gut sein, wenn nun schon 16-jährige in der Formel 3 unterwegs sind. Ich denke, man sollte ein Mindestalter einführen – 18 Jahre für die Formel 3, 20 Jahre für den Einstieg in die Formel 1.“

Bizarre Bürokratie

Nebenan sitzt der dreifache Ex-Formel-1-Weltmeister Nelson Piquet mit seiner Frau, seiner Familie – Sohn Pedro ist beim Unfall unverletzt geblieben. Piquet sagt: „Das war richtig gefährlich, schlimmer kann ein Crash kaum verlaufen.“ Während Li im Rettungshubschrauber liegt, wird er von der Rennleitung für das zweite Rennen, an dem er heute natürlich nicht teilnimmt, um drei Startplätze zurückversetzt. Bizarre Bürokratie.

GERALD ENZINGER