Wenn man sein halbes Rennfahrerleben in Le Mans verbracht hat, über ein Dutzend Mal gefahren ist, acht Mal gewonnen hat, wie viel Herausforderung ist dieses Rennen dann überhaupt noch?

TOM KRISTENSEN (schmunzelt): Ach du meine Güte! Ich versuche Ihnen das so zu erklären: Du hast schon einen ganz guten Samstag gehabt, wachst dann am Sonntag im Morgengrauen auf - ja, das ist es, das ist einfach jedes Jahr das gleiche großartige Gefühl in Le Mans. Weil der Stellenwert dieses Rennens einfach ein derart hoher ist.

Was ist es, was diese Faszination ausmacht?

KRISTENSEN: Alles, einfach alles. Von den Mechanikern über die Streckenposten, die Fans, die Barbecues am Streckenrand, es ist ein Festival, es ist noch etwas von dieser Romantik des alten Motorsports. Das beste Spektakel der Welt. Vergleiche es doch einfach mit der hochgejubelten Formel 1. In Le Mans überhole ich sieben, acht Autos in einer einzigen Runde.

Das heißt, es hat auch jeder Ihrer acht Siege den gleich hohen Stellenwert?

KRISTENSEN: Ich habe einfach unheimlichen Respekt vor Le Mans. Egal, ob es wie im Jahr 2001 fast 20 Stunden geregnet hat oder ob ich vor fünf Jahren mit meinem siebenten Sieg Jacky Ickx (sechsfacher Le-Mans-Sieger, Anm.) überholt habe - ja, es ist jeder Sieg hier etwas ganz Besonderes gewesen.

Können Sie in wenigen Sätzen das Geheimnis, in Le Mans zu gewinnen, erklären?

KRISTENSEN (überlegt etwas länger): Kontrolliertes, ich betone kontrolliertes schnelles Fahren. Und ein hohes Maß an Konzentration über eine lange Zeit. Du gewinnst Le Mans jedenfalls nicht, nur weil du ein schneller Autofahrer bist.

Kann man Le Mans, kann man dieses Rennen im Laufe der Jahre erlernen?

KRISTENSEN (lachend): Die 24 Stunden von Le Mans sind jedenfalls nicht irgendein Sprintrennen, wie es ein Grand Prix in der Formel 1 ist. Die Formel 1 fährt zumeist eineinhalb Stunden im Sonnenschein. In Le Mans hingegen wird es sehr bald Nacht, es wird verdammt feucht, es wird kalt, du wirst irgendwann müde. Die Formel-1-Piloten beklagen sich wie zum Beispiel in Australien über das Licht einer untergehenden Sonne zwischen den Bäumen. In Le Mans fährst du in die Nacht hinein, aus der Nacht heraus, in die Sonne hinein. Aber fragt doch ganz einfach auch euren Alexander Wurz (jüngster Le-Mans-Sieger aller Zeiten 1996 und Sieger 2009, Anm.). Bei der Formel 1 sitzen die Leute auf einen Café au Lait, fein gekleidet, immer an der gleichen Stelle. Le Mans ist ein Volksfest.

Apropos, weil Sie Alexander Wurz ansprechen. Ist er ein Gegner, den Sie auch heuer ganz besonders im Auge behalten?

KRISTENSEN: Selbstverständlich. Alexander ist ein sehr starker Fahrer. Er hat für den Motorsport und auch für Le Mans sehr viel geleistet.

Wenn man im Auto sitzt, bekommt man dann von dieser Atmosphäre, die Sie angesprochen haben, dennoch etwas mit?

KRISTENSEN: In der ersten Stunde nach dem Start oder auch gegen Rennende sind die meisten Zuschauer auf den Tribünen, das merkst du natürlich. In der Nacht sind weniger Leute, aber du registrierst die Bewegungen der Menschen entlang der Strecke. Auch den Geruch der Barbecues bekommst du mit.

Sie haben das Rennende angesprochen. Wie kann man sich die letzte Stunde vorstellen? Hört man da in sein Auto hinein, wird bei jedem Geräusch unruhig?

KRISTENSEN: Das hängt natürlich von der Rennsituation und von deiner jeweiligen Position ab. Wenn du noch drauf aus bist, jemanden zu überholen, gibt es keinen Unterschied zu den Stunden davor. Aber wenn du in Führung liegst, ist das natürlich völlig anders.

Es wird auch heuer ein Zweikampf zwischen Audi und Peugeot erwartet?

KRISTENSEN: Wir sind mit Audi garantiert besser vorbereitet als im Vorjahr. Aber es wird sicher wieder eine sehr enge Sache mit Peugeot. Für alle anderen wäre wohl ein Platz auf dem Podium schon eine wunderbare Sache.