Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Nach Spaniens bitterem Ausscheiden im Achtelfinale gegen Marokko bewahrheitete sich dieses Sprichwort einmal mehr: "Ein Fiasko für ein mittelmäßiges Spanien", titelte etwa die Zeitung "Marca", nachdem die Elf von Luis Enrique 120 Minuten vergeblich gegen den marokkanischen Abwehrriegel angerannt war.
Wie schon bei der WM 2018 (gegen Russland) und der EM 2021 (gegen Italien) traten die Spanier nach einem Elfmeterschießen die Heimreise an. Dieses Mal sogar ohne eigenes Tor, Pablo Sarabia, Carlos Soler und auch Kapitän Sergio Busquets vergaben am Dienstag allesamt ihre Versuche. Und das, obwohl Enrique seine Seleccion im Vorfeld gebührend auf das Elfmeter-Szenario vorbereitet hatte. "Vor mehr als einem Jahr habe ich den Spielern gesagt, dass sie mindestens 1000 Elfmeter bei ihren Klubs schießen müssen. Die kannst du nicht beim Nationalteam trainieren", sagte der Coach vor dem Spiel.
Er glaube nicht, dass Elfmeterschießen eine "Lotterie" ist, betonte Enrique. Seine Spieler warfen allerdings die Nerven weg. Auch Sarabia, der zuvor in seiner Karriere alle 15 Versuche verwandelt hatte und extra kurz vor Schluss für den Showdown eingewechselt worden war. Während alle Marokkaner eiskalt trafen, Achraf Hakimi mit dem entscheidenden Elfer sogar im Panenka-Style, scheiterte Sarabia an der Stange und Soler sowie Busquets an Marokkos neuem Nationalhelden Yassine Bounou.
Enrique hatte sich nach dem bitteren Achtelfinal-Aus aber nichts vorzuwerfen. "Ich würde alle Schützen noch einmal so auswählen. Den Einzigen, den ich wechseln würde, wäre Bounou, den Tormann des Gegners", sagte er. Auch mit der spielerischen Vorstellung seiner jungen Truppe war der 52-Jährige nicht unglücklich. Er sei "mehr als zufrieden", betonte Enrique, "sie haben meine Ideen und meinen Stil vertreten". Genau 1.050 Pässe spielte La Roja, der tödliche war nicht dabei. "Natürlich hätten wir auf den letzten Metern effizienter sein müssen", erkannte auch der Trainer.
Genauso bei den Elfmetern, bereits zum vierten Mal unterlagen die Spanier bei einer WM im ultimativen Nervenkampf. So oft war das noch keiner Mannschaft passiert, auch nicht den Engländern, die üblicherweise den Ruf als größter Feind des Elfmeterschießens "genießen". Die "Three Lions" unterlagen bei Weltmeisterschaften allerdings erst dreimal vom Punkt, bei Europameisterschaften hingegen zuletzt vier Mal in Serie. Die Spanier vergaben außerdem als erst zweites Team nach der Schweiz 2006 gegen die Ukraine bei einer WM alle Versuche in einem Elfmeterschießen.
Wie es mit Luis Enrique nun weitergeht, blieb zunächst unklar. "Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um über meine Zukunft zu sprechen", sagte der Coach unmittelbar nach Schlusspfiff. Sein Vertrag läuft nach der WM aus, er sei aber "sehr glücklich" beim Nationalteam. Die spanische Presse übte jedenfalls Kritik. Die Sportzeitung "As" meldete "ernsthafte Zweifel" an Luis Enrique an. "Der Nationaltrainer hat es nicht besser gemacht als Fernando Hierro, das spricht gegen ihn. Es gibt Argumente für ihn, aber auch welche dagegen, und einige von denen wiegen schwer."
Doch auch der Verband bekam sein Fett ab. "Nur drei Siege (Anm.: gegen Australien, Iran und Costa Rica) bei den beiden letzten Weltmeisterschaften. Für ein Land, das eine der besten sportlichen Strukturen der Welt hat, ist das unter dem Strich schrecklich", schrieb "Marca" und ergänzte: "Acht Jahre zum Weinen." Die Zukunft könnte allerdings angesichts von Toptalenten wie Gavi, Alejandro Balde, Pedri, Nico Williams oder Ansu Fati eine rosige sein. "Wir haben eine gute Dynamik im Team, eine junge Truppe mit Zukunft. Man muss einfach weitermachen", sagte Busquets nach einem Ausscheiden "auf die grausamste Weise".
Seine Zukunft im Nationalteam ließ der Mittelfeldspieler, der nach der Saison möglicherweise in die USA wechselt, offen. "Das ist gerade nicht wichtig", betonte der letzte verbliebene Weltmeister von 2010 im Team.