Kroatiens endlose Karo-Party wogt weiter. Im fernen Sotschi zelebrierte Landesmutter Kolinda Grabar-Kitarovic den Triumph im Elfmeterkrimi gegen die Russen vor den Augen ihres sprachlosen Gastgebers Dmitri Medwedew mit einem erleichterten Siegestanz. Und auch in der Heimat brachen nach dem erlösenden Treffer von Ivan Rakitic alle Dämme: Von Dubrovnik bis Vukovar machten die Fans die Nacht zum Tag, feierten ausgelassen den erstmaligen Einzug in ein WM-Halbfinale seit zwei Jahrzehnten – damals, 1998, gab es in Frankreich im Halbfinale eine Niederlage gegen den späteren Weltmeister Frankreich und Platz drei.

Mit einem kollektiven Jubelschrei endete vor Großleinwänden, in Wohnstuben und Cafés das zweistündige Wechselbad der Gefühle. In den Badeorten sprangen siegestrunkene Fans nach dem Siegestreffer von Elfmeterheld Rakitic ins Meer. In den Großstädten funktionierten Abkühlung suchende Karokuttenträger die Springbrunnen zu Whirlpools um. Freudig tänzelten die feiernden „Feurigen“-Fans auf Autodächern und Denkmälern. Endlose Autokorsos bahnten sich hupend ihren Weg durch die rot-weiß gewürfelten Siegespartys.

Erinnerungen an 1998

„Kroatien in Trance!“, titelte in der langen Nacht zum Sonntag euphorisch das Webportal „index.hr“, das sich an die Stimmung beim bisher erfolgreichsten Abschneiden der „Feurigen“ bei der WM in Frankreich erinnert fühlt: „Es riecht nach 1998!“

Tatsächlich ist Kroatiens gefeierte „momcad“ (Mannschaft) endgültig aus dem lange übergroßen Schatten der „goldenen Generation“ der 90er-Jahre um die Fußballlegenden Davor Suker, Robert Prosinecki oder Zvonimir Boban getreten. Der Gewinn des WM-Titels wäre das „schönste Märchen“, fiebert Kapitän Luka Modric bereits dem Halbfinale entgegen. Der 30-Jährige spürt die Unterstützung aus der Heimat. „In Kroatien ist die Hölle los. Und wir möchten noch weitermachen“, sagte er. Der Mittelfeldstratege von Real Madrid, in den fünf bisherigen WM-Auftritten drei Mal zum „Man of the Match“ gewählt, wäre dann wohl wirklich der beste Spieler des Turniers – aber auch jetzt stehen seine Chancen auf die Nachfolge von Lionel Messi nicht schlecht. Ganz Kroatien solle „brennen“, feixte Rakitic nach seinem erlösenden Siegestreffer und fügte an: „Wir möchten am liebsten jedes Jahr eine WM!“

Sehr feurig feierten die Fans dann auch den Sieg. Die atemberaubenden Schwaden unzähliger Rauchfackeln tauchten bei den überschwänglichen Siegespartys Straßenzüge und Marktplätze in ein rotes Licht. Am Hauptplatz in Zagreb feierten 15.000 Fans siegestrunken das Halbfinale, in dem England wartet. Und schon vor Anpfiff lösten zündelnde Fans auf der herzförmigen Insel Galesnjak vor Zadar bei einer missglückten Rauchperformance gar einen Waldbrand aus: 100 Menschen mussten von der Feuerwehr evakuiert werden.

Doch über die abgefackelte, herzförmige „Liebesinsel“ sprach nach Abpfiff niemand mehr. In einer am Samstag vor Anpfiff veröffentlichten Umfrage erklärten zwar über 70 Prozent der befragten Kroaten, dass sich ihr Land „in die falsche Richtung“ entwickle: Wie in den Monaten zuvor wurde erneut „niemand“ als der mit Abstand populärste Politiker des Adria-Staats genannt. Doch zumindest in der Nacht des frenetisch gefeierten Halbfinaleinzugs schienen bei dem sonst so sorgengeplagten und zerrissenen EU-Neuling alle irdischen Nöte vergessen. „Der Traum der Feurigen lebt weiter!“ titelte überschwänglich das Webportal der Zeitung „Jutarnji list“. Alles, was von ihm erwartet worden sei, habe das Team erfüllt, in der Not Charakter gezeigt, den Gegner und sich selbst besiegt: „Burschen, wir danken euch dafür!“

Denn mit dem Sieg ist auch die negative Stimmung in Kroatien nach dem Korruptionsprozess gegen Fußballpate Zdravko Mamic, in dem auch Modric als Zeuge aussagen musste, wie weggeblasen.

Gefeiert haben Kroaten auch fern der Heimat. In Wien musste die Ottakringer Straße gesperrt werden, pyrotechnische Gegenstände verletzten zwei Fans.