Die Frage ist ungewöhnlich: Wie wird man eigentlich Teamchef von Nigeria?
Gernot Rohr: Tja, ich wurde angerufen und gefragt, ob ich es machen will. Wir haben uns getroffen, über Modalitäten, Ziele gesprochen. Dann unterschrieb ich den Vertrag, mit der Klausel der WM-Teilnahme. Dieses Risiko bin ich eingegangen, die Qualifikation war auch schwierig neben Algerien und Sambia und Afrikameister Kamerun. Als wir uns qualifiziert haben, gab es eine tolle Feier. Davor saßen wir aber stundenlang im Stadion fest, weil draußen so viele Leute mit uns feiern wollten.

Warum genießen deutsche Trainer so einen guten Ruf in Afrika?
Der Druck ist in Afrika überall groß. Man will gewinnen, ich kenne das jetzt seit zehn Jahren, die ich bald in Afrika bin. Ich kenne die Mentalität der Menschen, muss immer alles relativieren. Gegenüber einem Deutschen erwartet man sich Ordnung, Disziplin im Spiel, im Benehmen. In Nigeria gibt es 190 Millionen Menschen. Alle Teamchefs.

Was ist denn Ihr Erfolgsrezept?
Man muss mit Spielern menschlich umgehen, ein offenes Ohr haben. Aber Zuckerbrot und Peitsche funktioniert in Afrika immer noch am besten. Viele Spieler sind in Europa geboren, haben aber diese Mentalität mit afrikanischer Euphorie. Es ist eine Mischung aus Improvisation, Kreativität und Können. Es genügt nicht, ihnen zu sagen, dass sie pünktlich sein sollen oder wann sie ins Bett gehen müssen.

Nigeria verlor die Tests gegen England (1:2) und Tschechien (0:1). Da fehlten Ruhe, Organisation, vor allem gezielte Aktionen.
Ach, vergessen Sie diese Resultate. Es ging bei diesen Spielen nur darum, eine Abstimmung zu finden. Viele der Spieler hatten sich über zwei Monate nicht gesehen, wir mussten unsere Organisation neu finden. Und: Ich habe die jüngste Mannschaft dieser WM! Was in Wembley oder in Schwechat geschah, ist belanglos. Wenn in Freundschaftsspielen alles gelingt, würde man glauben, dass man es bei der WM einfach wiederholen kann. Und das wäre trügerisch.

Das klingt ganz danach, als hätten Sie hohe Ziele bei der WM.
Ich erwarte, dass wir diese schwere Gruppe schaffen und aufsteigen. Das muss das Ziel sein als erster Schritt. Wir wollen Nigeria mit Stolz erfüllen, die „Super Eagles“ haben einiges gutzumachen.

Spielen Sie da auf die Streitereien im Rahmen der WM 2014 an?
Ich musste keinen Teamgeist kreieren. Den haben wir, weil alle gerne für Nigeria spielen. Es gibt keine Prämienstreitereien mehr. Das ist im Vorfeld geklärt worden, ja. Wir haben uns zusammengesetzt, uns geeinigt. Da haben auch die Offiziellen des Verbandes mitgemacht. Man ist vernünftig geworden, damit die Spieler jetzt die besten Bedingungen haben.

Was wissen Sie über die Gruppengegner? Sie spielen auch gegen Argentinien mit Messi.
Die Gegner haben unterschiedliche Systeme, das verlangt Weitsicht. Kroatien bevorzugt ein 4-3-2-1 oder 4-3-3, Island spielt 4-4-2 und Argentinien vermutlich 5-3-2. Adaptieren ist also immer das Schlagwort. Mir sind unterschiedliche Optionen für den Angriff wichtig, mit John Obi Mikel (Chelsea, Anm.) haben wir einen Veteranen. Es geht darum, gegen Kroatien gut ins Turnier zu starten. Zum Auftakt haben wir einen Vorteil: Der Gegner ist Favorit.

Wie würden Sie den Fußball in Nigeria beschreiben?
Er lebt von dieser Überschwänglichkeit in beiden Richtungen, positiv wie negativ. Die Schwankungen sind bei Europäern kaum vorstellbar. Es gibt kein Mittelmaß. Und die Fußballkultur? Man schaut nur auf Ergebnisse, mediale Analyse beschränkt sich zumeist darauf. Das ist ungenügend.

Wann wird ein afrikanisches Team erstmals Weltmeister?
Träumen kann man, aber Nigeria ist wohl noch nicht bereit. Das wäre ein Wunder. Zuerst müssen wir aus dieser Gruppe rauskommen. Ich hoffe sehr, dass ein afrikanisches Team eines Tages die WM gewinnt. Es würde dem Fußball so guttun.