Es wird Zeit. 1998 durfte das österreichische Nationalteam zum bisher letzten Mal an einer Fußball-Weltmeisterschaft aktiv mitwirken. In Frankreich blieben Andi Herzog, Toni Polster, Ivica Vastic & Co. nach der Gruppenphase auf der Strecke. Seither wurden ganze Kickergenerationen verbraucht, ohne dass ihnen eine erfolgreiche Qualifikation beschieden war. Mittlerweile klafft die größte zeitliche Lücke der heimischen Fußballgeschichte zwischen dem hehren Anspruch und der rauen Wirklichkeit. Bei fünf Weltmeisterschaften in Folge blieb für Österreich nicht mehr übrig als die Zuschauerrolle. Nach 24 Jahren soll diese nach herkömmlicher Zeitrechnung schon unendliche Leidensgeschichte  zu Ende gehen. Bedarf es dazu eines neuen Wunderteams?

Die Ausgangsposition ist rein historisch betrachtet praktisch eine Idealvorlage. Ein 5:0 gegen Schottland vor 90 Jahren galt als Geburtsstunde des legendären "echten" Wunderteams. Der Start in die letzte geglückte Qualifikation erfolgte 1996 ebenfalls gegen die Schotten, damals gab es übrigens ein 0:0. Was läge also näher, als den Auftakt am Donnerstag in Glasgow als Gradmesser für den weiteren Verlauf heranzuziehen?

Ein österreichisches Wunderteam 2.0 in der heutigen Abteilung des spielenden Personals zu finden, ist ein eher vermessenes Unterfangen. Wenn sich eine nicht zu den sogenannten "Großen" der Geschichte zählende Fußball-Nationalmannschaft der Gegenwart einen derartigen Superlativ verdient, ist wohl am ehesten Belgien an oberster Stelle zu nennen. Zahlreiche Spieler der Mannschaft des WM-Dritten von 2018 und der aktuellen Nummer eins der FIFA-Weltrangliste bekleiden zentrale Funktionen bei Topklubs der großen europäischen Fußball-Ligen.

Ansehen stark gestiegen

Das Gerüst des österreichischen Teams bilden die in der deutschen Bundesliga tätigen Akteure, die bei ihren Vereinen zweifellos wichtige Funktionen ausüben. Die zehn Tage währende Diskussion über Spielerlaubnis oder -verbot dieser Kerngruppe hat dem heimischen Fußballvolk vor Augen geführt, dass ein (erzwungener) Verzicht wohl einen gravierenden, möglicherweise spielentscheidenden Qualitätsverlust nach sich gezogen hätte. Gleichzeitig ist diese Abhängigkeit indirekt aber auch ein Hinweis auf das in den vergangenen Jahren stark gestiegene Ansehen österreichischer Fußballprofis.

Schon vor einigen Jahren war die rot-weiß-rote Auswahl unter Teamchef Marcel Koller auf dem besten Weg zu einer Topnation des Kontinents. Die fast makellose Qualifikation für die Europameisterschaft 2016 ist dem heimischen Anspruch an ein "Wunderteam" bereits relativ nahegekommen. Durch die verpatzte Endrunde und das Scheitern bei der folgenden WM-Bewerbung ist der Rausch allerdings sehr bald wieder einer kollektiven Ernüchterung gewichen.

Doch zu den damals noch wesentlich jüngeren Mitgliedern einer "goldenen" österreichischen Kicker-Generation um Marko Arnautovic und David Alaba stieß in den vergangenen Jahren unter Koller-Nachfolger Franco Foda eine Reihe begabter Fußballer, die für eine signifikante Steigerung des durchschnittlichen spielerischen Niveaus verantwortlich zeichnen. Weitere noch sehr junge Hochbegabte wie der 17-jährige Rapidler Yusuf Demir sorgen für zusätzliche Impulse hinsichtlich der künftigen Erwartungen.

Foda im "Hier und Jetzt"

Die neuerliche gelungene Qualifikation für eine Europameisterschaft und der Aufstieg in die A-Kategorie der Nations League fielen nicht nach dem Zufallsprinzip über Österreich herein, sondern bilden den gegenwärtigen Leistungsstandard einigermaßen plausibel ab. Die Hohlräume, in die das Fußball-Land immer wieder hineinstürzte, haben markant an Volumen  verloren. Franco Foda kann, wie er selbst sagt, mit den der Vergangenheit entlehnten Begriffen wie Wunderteam, etc., "wenig anfangen. Wir sind im Hier und Jetzt", meint der Teamchef, um sodann die jetzige Spielstärke zu bestätigen. "Die Mannschaft hat sich in den vergangenen zwei Jahren weiterentwickelt, aber die Wahrheit liegt auf dem Platz", blickt der Deutsche der WM-Qualifikation mit Zuversicht entgegen.

Eine Qualifikationsgruppe mit Dänemark, Schottland, Israel, Moldawien und Färöer verleitet zur Annahme einer leichten Favoritenstellung der Österreicher. In der Qualifikation für die WM 2018 befand sich das Nationalteam in einer vergleichbaren, vermeintlich günstigen Ausgangsposition, von der aus die Mannschaft jedoch auf den Irrweg abgeleitet wurde. Am Ende reichte es hinter Serbien, Irland und Wales nur zu Rang vier. Die Distanz zu Platz eins aber fiel, verglichen mit früheren Bewerbungen, gering aus. 2002 hatte Österreich als Gruppenzweiter sogar die Relegation erreicht, war aber gegen die Türkei untergegangen (0:1, 0:5). Dieses Debakel legte den damaligen Abstand zur Weltspitze gnadenlos offen.

Fazit: Ein Wunderteam, das ohnehin nur noch als Illusion darstellbar ist, wird für ein erfolgreiches Aufnahmeverfahren nicht notwendig sein. Über die Klasse, um 2022 in Katar einzulaufen, verfügt die österreichische Nationalmannschaft aber allemal. Zur Klarstellung sei aber festgehalten: Ein Sieg über Schottland 1931 entspricht in etwa einem heutigen Erfolg über Spanien. Gewinnt Österreich das Auftaktmatch, wäre das Erwartbare eingetreten, eine Messlatte für Höheres ist das Spiel nicht.