Er war am 4. Juni auf dem Heimweg. Übersah die Ausfahrt. Drehte auf der Brennerautobahn um. Ein Frontalcrash ohne gröberen Schaden, für alle Beteiligten. War Didi Constantini betrunken?
Nach dem Unfall brachte die Familie der ehemaligen Fußballgröße jetzt Licht in die Angelegenheit. In einem Schreiben an die "Tiroler Tageszeitung" ist zu lesen: „Erst jetzt, und damit nach allen polizeilichen Einvernahmen und der Rekonstruktion des Unfalls und der Einholung aller notwendigen Unterlagen, können wir bestätigen, dass der Unfall aufgrund eines Wendemanövers von Didi passiert ist.“ Dietmar Constantini sei an Demenz erkrankt. „Wir wollen mit dem Schritt an die Öffentlichkeit mithelfen, diese Krankheit zu enttabuisieren.“
Doch was ist Demenz? Ohne ins Detail gehen zu wollen, der Begriff leitet sich aus dem Lateinischen ab. Mens bedeutet „Verstand“. De mens heißt folglich „ohne Denkkraft, ohne Besonnenheit“. Die kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten sind eingeschränkt. Betroffen sind das Kurzzeitgedächtnis, das Denkvermögen, die Sprache und die Motorik. Die häufigste Form einer Demenz ist Alzheimer.
Didi Constantini, der sich nach dem Unfall aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat und weiterhin mit seinen Fußballcamps für Kinder aktiv sein wird, hat den Fußballsport in diesem Land mitgeprägt. Der 64-jährige Innsbrucker wurde als Spieler mit dem FC Wacker zwei Mal Meister, er absolvierte 198 Bundesliga-Spiele und erzielte dabei sechs Tore. Einen ungleich höheren Bekanntheitsgrad erlangte der Tiroler allerdings als Trainer.
Die Rose und Happel
1991 stand Constantini dem U21-Nationalteam vor, parallel unterstützte er Alfred Riedl als Co-Trainer in der A-Mannschaft. Nach dessen Entlassung war Constantini für drei Monate interimistisch österreichischer Teamchef. Als Ernst Happel 1992 bestellt wurde, zog sich Constantini wieder in die zweite Reihe zurück. Die Zusammenarbeit zwischen der Legende und dem Tiroler Buam wurde gern als Vater-Sohn-Beziehung dargestellt, auch, weil Happel stets als Mentor Constantinis auftrat. Nach Happels Tod stand Constantini erneut dem A-Team interimistisch vor, unvergessen das Kapperl, das er vor dem 0:0 in Deutschland auf Happels Sitzplatz deponierte. Ein Moment für die Ewigkeit.
Nach mehreren Stationen als Klubtrainer wurde Constantini am 4. März 2009 zum österreichischen Teamchef bestellt, er ersetzte den glücklosen Tschechen Karel Brückner. In den ausstehenden sechs Qualifikationsspielen für die WM 2010 sammelte die Mannschaft zehn Punkte. Zu spät, als Drittplatzierter der Qualifikationsgruppe 7 verpasste man die Endrunde jedoch deutlich.
Der Feuerwehrmann
Der ÖFB schenkte dem Feuerwehrmann – so haben sie Constantini genannt, weil er stets eingesprungen ist, wenn irgendwo Feuer am Dach war – das Vertrauen. Der Vertrag wurde bis zur Europameisterschaft 2012 verlängert. Freilich lassen sich Kontroversen mit international erfahrenen Spielern wie Martin Stranzl, Alexander Manninger, Andreas Ivanschitz oder György Garics nicht leugnen. Einerseits, weil diese als Stammspieler bei ihren Vereinen nicht einberufen wurden und daraufhin ihre Team-Karrieren beendeten. Auf der anderen Seite verhalf Constantini vielen Jungen zum Debüt, etwa Aleksandar Dragovic, Julian Baumgartlinger oder Jakob Jantscher, die sich langfristig etablieren sollten. David Alaba machte er mit 17 Jahren und 112 Tagen zum jüngsten Teamspieler der österreichischen Fußballgeschichte.
Die Nationalmannschaft startete mit sieben Punkten aus den ersten drei Spielen in die Qualifikation für die Europameisterschaft 2012. Nach dem mühsamen 2:0-Sieg gegen Kasachstan am 7. September 2010 wurde Kritik an Constantinis Aufstellung laut. Das 4:4 in Belgien schien ihm den Posten zu sichern, ehe die EM-Qualifikation klar verpasst wurde. Constantinis bis Jahresende 2011 laufender Vertrag wurde nicht verlängert, er trat am 13. September 2011 zurück.
Vermutlich wird sich Dietmar Constantini nur noch verschwommen an die glorreichen Zeiten erinnern können. Anzunehmen auch, dass er nachfragen wird, wenn er Fotoalben durchblättert im Kreise der Liebsten, seiner Familie, die ihm mit dem Schritt an die Öffentlichkeit einen großen Dienst erwiesen hat. Das Thema Demenz wird öffentlich und breit diskutiert.
Und, was nicht vergessen werden sollte: Dem 25-jährigen Unfallopfer geht es zum Glück gut. Schwer auszudenken, wenn der Lenker wegen Constantini den Tod gefunden hätte. Dann wäre diese Geschichte weitaus tragischer.
Harald Schume