Herr Koller, willkommen in Wien. Noch wohnen Sie im Hotel. Haben Sie eine Vorstellung, wie Ihre Wohnung aussehen soll?

MARCEL KOLLER: Man muss sich wohlfühlen. Sie soll verkehrsgünstig sein, man soll Ruhe haben. Aber die Wohnung wird die Frau Teamchef aussuchen.

Eine neue Stadt heißt auch Abschied nehmen von einer anderen. Fällt das leicht?

KOLLER: Es ist für mich einfacher, als für meine Frau. Ich habe über den Fußball schnell Kontakt, sie muss das soziale Umfeld erst finden. Aber wir haben ja Erfahrung damit. Und es ist auch interessant: Ich kriege die Möglichkeit, in eine andere Stadt zu gehen, andere Leute kennenzulernen. Und: Beim Team fiebert jetzt nicht nur Österreich mit, sondern auch die halbe Schweiz.

Wie war Ihre Kindheit? Wohlbehütet?

KOLLER: Ja, ich hatte ein sehr gutes Zuhause. Wir hatten zwar kein Auto, mein Vater hatte einen Motorroller. Und auch nie Urlaub am Meer, weil wir uns das nicht leisten konnten.

Ihre erste Frau sagte: Sie haben 24 Stunden nur Fußball im Kopf. Stimmt das?

KOLLER: Das war sicher so, aber es kommt auch auf die Situation an. Normalerweise braucht man acht Stunden Schönheitsschlaf, im Alter ein bisserl weniger. Da kann ich schon abschalten.

Ihnen wurde Skepsis entgegen- gebracht, vor allem von anderen Trainern. Wie reagiert man da? Verwundert? Verärgert? Oder prallt das ab?

KOLLER: Von allem ein bisschen.Wenn ich mir ein Urteil über einen Mensch mache, dann muss ich mich mit ihm beschäftigen, mich informieren. Ich weiß nicht, ob das alle gemacht haben. Ich kenne als Trainer Deutschland und die Schweiz. Untereinander herrscht da Solidarität, Respekt.

Wie wurden Sie Fußballer?

KOLLER: Ich war ein Straßenfußballer. Wir haben im Schulhaus, auf der Wiese gekickt. Jeden Tag. Ich war immer der Kleinste, aber der Beste. Anfangs wurde ich immer zuletzt ausgesucht beim Wählen - bald als Erstes.

Nach oben gearbeitet ...

KOLLER: Ja (lacht). Und dann kam die WM 1970. Meine Eltern kauften extra einen Farbfernseher für die WM: 1970, die WM in Mexiko. Das Aztekenstadion, Riesenstimmung, Brasilien, Pele - da krieg ich gleich eine Gänsehaut (lacht). Ich war zehn - und ging dann zu einem Verein. Ich traute mich mich aber nicht zu fragen, ob ich mitmachen darf. Zum Glück kam der Trainer und hat gefragt. Mit 14 hatte ich dann den Traum, Profi zu werden. Mit 20 war ich Stammspieler.

Sie verfolgen Ihre Ziele also konsequent?

KOLLER: Diese Konsequenz habe ich entwickelt. Auch während meiner Verletzungen. Mit 19 war mein Traum ausgeträumt (Riss der Quadrizepssehne im Oberschenkel, Anm.) Ich dachte: Scheiße! Jetzt musst du schauen, wie du hinkommst. Und das geht nur mit dieser Konsequenz.

Warum?

KOLLER: Weil das Leben so viele Ablenkungen bietet. Wenn du nach oben kommen willst, brauchst du Konsequenz. Wenn du das nicht hast, dann ist das Leben zu schön - dann sag: Komm', lass es, mach es dir angenehmer. Ich habe aber dieses Feuer in mir, ich will erfolgreich sein. Auch mit dem Team.

In Zeiten der Finanzkrise wird alles "geratet", in Österreich gibt man dem Team gerne "Ramschstatus". Wie raten Sie ihn?

KOLLER: Ich denke, der Fußball wird zu schlecht gemacht. Meine Sicht der Dinge: Ich habe Leidenschaft gesehen. Ich habe Talent gesehen. Meine Aufgabe ist es, das zusammenzuführen. Um dann ins Rating zu kommen. Das geht nicht von heute auf morgen.

Ihnen wird akribisches Arbeiten bis zur Pedanterie nachgesagt. Verträgt sich das mit dem österreichischen Schlendrian?

KOLLER: Wir werden sehen (lacht). Wenn ich von Anfang an sage: Wir haben eh' keine Chance, wir spielen nur ein bisschen mit - das kann es nicht sein. Das Ziel muss sein, erfolgreich zu sein. Die Verbissenheit zu haben. Ob du in der 90. Minute ein Tor bekommst oder eines schießt, hat mit dem Willen zu tun. Wenn du die Verbissenheit hast, haust du den Ball vorne rein und hinten kurz vor der Linie noch weg. Man darf halt nicht sagen: Wir schauen ein bisschen. Und da schauen wir ein bisserl und da auch noch einmal ein bisserl, und ein bisserl mehr - und dann ist der Ball im eigenen Tor. Und dann haben wir gut gespielt, aber ein bisserl zu wenig gemacht.

Weil es so modern ist: Würden Sie sich als Systemtrainer sehen?

KOLLER: Ich habe eine Idee, meine Philosophie, wie ich Fußball spielen lassen möchte. Wie wir uns defensiv zu verhalten haben, wie offensiv. Diese Idee will ich konsequent umsetzen, aber auch die Individualität fördern. Fußball spielen können die Jungs, aber man kann sie noch besser machen.