Herr Hickersberger, es ist inzwischen sechs Jahre her, dass Sie Österreich bei der Heim-EM betreut haben. Wenn Sie nun Ihr Team von damals mit dem heutigen vergleichen, wie fällt dieser Vergleich aus?

JOSEF HICKERSBERGER: Ganz klar zugunsten der Mannschaft von Marcel Koller. Die Truppe von heute hat auf nahezu allen Positionen mehr Qualität und ist speziell im Spiel nach vorne, in der Offensive, viel besser aufgestellt. Man kann Koller nur gratulieren.

Das heißt, dass sich dieses Team für die Europameisterschaft 2016 qualifizieren muss?

HICKERSBERGER: Nein. Von einem Muss kann keine Rede sein. Dieser Anspruch steht Österreich nicht zu, weil Österreich - und das sieht man, Stichwort Rapid und Salzburg, auch bei den Vereinen - einfach noch nicht zu den großen Fußballnationen zählt. Das ist bedauerlich, aber es ist so.

Sie sagen "noch" nicht . . .

HICKERSBERGER: Ja, weil ich der Ansicht bin, dass sich das in absehbarer Zeit ändern wird.

Und worauf begründet sich diese Zuversicht?

HICKERSBERGER: Auf der Arbeit im Nachwuchs. Was in all den Akademien geleistet wird, auch wenn man zu spät mit diesen Akademien begonnen hat, ist beachtlich und lässt sich in teils hervorragenden Resultaten ablesen. Das Niveau ist sehr hoch, die Früchte wird man schon bald im A-Team ernten können.

Orten Sie in Marcel Kollers Team auch Baustellen?

HICKERSBERGER: Ja, zwei. Die Tormannsituation ist nicht sehr erfreulich und die Position ganz vorne im Sturm auch nicht. Aber Koller hat auf seiner Suche nach Alternativen ja schon reagiert und Rubin Okotie als potenziellen Ersatz für Marc Janko geholt. Es würde mich nicht wundern, wenn Okotie gegen Schweden beginnt.

Wer soll im Tor beginnen?

HICKERSBERGER: Dass Robert Almer auch bei Hannover nur auf der Bank sitzt, ist sicherlich ein großer Nachteil. Tormänner brauchen Spielpraxis, und wenn er sich einen gravierenden, eventuell entscheidenden Fehler leisten sollte, dann hieße es sofort: Na eh klar, der spielt ja auch nie. Die Entscheidung ist nicht leicht, aber Koller wird die Eindrücke im Training hernehmen und, so hoffe ich, richtig entscheiden.

Wie beurteilen Sie Kollers Arbeit ganz allgemein?

HICKERSBERGER: Durchwegs sehr positiv. Ich war auch von Anfang an der Meinung, dass es richtig war, ihn zu holen. Ich kannte seine Arbeit aus der Deutschen Bundesliga und war schon damals von ihm überzeugt. Er verfolgt eine klare Linie, das Team wirkt extrem gut organisiert und bestens eingespielt, hat Charakter und ein eigenes Gesicht. Die erste Halbzeit in Schweden beim 1:2 war sensationell. Das Beste, was ich von Österreich seit langer Zeit gesehen habe.

In der kommenden Qualifikation wird einmal mehr sehr viel von David Alaba abhängen. Aber ist der Druck, der auf ihm lastet, nicht etwas groß? Immerhin soll da ein junger Mann im Mittelfeld die Fäden ziehen, der im Verein linker Verteidiger spielt.

HICKERSBERGER: Der Druck ist nicht zu groß, dem hält der Bursche schon stand. Er ist ein österreichisches Jahrhunderttalent wie es Hasil, Prohaska und Herzog waren, und hat einfach die Klasse. Er ist ein absoluter Führungsspieler, und da seine Lieblingsposition ohnehin im Mittelfeld ist, wird das eher Ansporn für ihn sein und keine Belastung.

Das Spiel der Schweden steht und fällt mit Zlatan Ibrahimovic. Sollte man gegen ihn Manndeckung spielen lassen?

HICKERSBERGER: Keinesfalls. Man sollte das Spiel der Schweden so intensiv stören, dass sie ihn einfach nur ganz selten anspielen können. Auch wenn er sich nach hinten zurückfallen lässt. Manndeckung ginge nach hinten los, weil sich einer wie er nicht manndecken lässt. Aber ich denke, das weiß Marcel Koller.