Sie analysieren Spieler, Partien, Taktiken, Systeme und Trainer. Können Sie für uns bitte Heribert Weber analysieren?
HERIBERT WEBER: Ehrgeizig, mit sehr viel Fantasie, kreativ, empfindlich und schnell den Retourgang einschaltend, wenn er das Gefühl hat, dass die Anerkennung fehlt.

Sind Sie ein eitler Mensch?
WEBER: Sehr eitel. Warum? Wenn ich etwas in der Öffentlichkeit sage, dann ist das sehr wohldurchdacht. Ich mache mir Gedanken, bevor ich sie weitergebe. Das ist auch oft passiert in meiner Karriere, vor allem als Trainer. Die Arbeit ist viel intensiver als die Anerkennung, die von den Verantwortlichen zurückkommt. Ich habe immer alles dem Sport und dem Erfolg untergeordnet. Ich hatte immer die nötige Einstellung.

Die Addition all Ihrer Aufzählungen hat ein Ergebnis: Sie sind ein Perfektionist.
WEBER: Das ist alles in den anderen Worten inbegriffen. Perfektion ist bei mir allgegenwärtig. Darunter leidet ja auch mein Umfeld. Immer darauf aus zu sein, dass alle Dinge, die man macht, so gut wie nur möglich gelingen, kann zur Belastung werden. Dazu zählen Debatten, die immer ausdiskutiert werden müssen.

Also kein Ergebnis wäre unbefriedigend?
WEBER: Kein Ergebnis bringt niemanden weiter. Auch eine Streiterei kann oft wahre Wunder bewirken. Ich weiß aus dem Fußball, dass ein anständiges Donnerwetter nach einer Niederlage der Anfang einer erfolgreichen Serie sein kann. Der Mensch ist gerade in schwierigen und schlechten Zeiten in der Lage, besonderes Engagement zu zeigen.

Kurzfristig.
WEBER: Immer dann, wenn es notwendig ist. Wie bei diesem fürchterlichen, unerklärbaren Ereignis in unserer Grazer Innenstadt, wo so viele Menschen durch ihre sofortige Hilfe beeindruckt haben.

Leben Sie gerne in Österreich?
WEBER: Ich bin mit Leib und Seele Österreicher, aber ich
reise auch gerne, als Bestätigung dafür, dass es bei uns
am schönsten ist.

Der Fußball hat Sie von Pöls nach Graz gebracht.
WEBER: Ich habe mit einer Buchdruckerauswahl gegen die U20 von Sturm Graz gespielt und hatte das Glück, dass der damalige Sturm-Trainer Karl Schlechta das Spiel beobachtet hat. Ohne sein gutes Auge wäre ich nie von der Unterliga Nord zu Sturm gekommen.

Ist ein Leben ohne Fußball für Sie überhaupt vorstellbar?
WEBER: Jetzt eher. Denn inzwischen habe ich auch Gefallen an vielen anderen Dingen gefunden. Trotzdem ist der Fußball neben meiner Familie noch immer das Wesentliche. Sport und Familie passen bei mir extrem gut zusammen.

Haben Sie eigentlich vor dem näheren Kennenlernen auch Ihre Frau genauer analysiert?
WEBER: Ich habe sie damals analysiert, aber sie ist jetzt anders, als sie damals war (lacht).

Das heißt?
WEBER: Dass sich jeder Mensch im Laufe der Zeit verändert und weiterentwickelt. Ich habe sie als Mädchen kennengelernt. Und jetzt führt sie das Hotel, ist selbstbewusst. Manchmal hat ein Mann mit dem Selbstvertrauen und dem Selbstbewusstsein seiner Frau zu kämpfen.

Aber das klappt ja ganz gut.
WEBER: Ja, wir sind auch schon 35 Jahre verheiratet.

Gab es so etwas wie ein Schlüsselerlebnis, warum Sie Analytiker geworden sind?
WEBER: Mein Schwiegervater war Chef der Kern Buam. Ich durfte ihr 60-Jahr-Jubiläum im Grazer Stefaniensaal moderieren. Und dabei habe ich gemerkt, dass ich nicht nur fußballerisches Talent besitze, sondern auch über die Qualitäten eines Moderators verfüge. Ich sehe den Fußball noch immer mit dem Auge des Trainers, aber jetzt ist es meine Aufgabe, die Zuseher so perfekt wie möglich zu informieren.

Sie dürfen als Experte genau das sagen, was Sie denken. Sie brauchen sich nicht zu verbiegen wie ein Spieler oder Trainer.
WEBER: Ich habe immer gesagt, was ich mir gedacht habe, in all meinen Positionen. Verbogen hat mich niemand.

Das ist schön zu hören. Wie bewerten Sie die gesellschaftliche Wandlung, die Politik?
WEBER: Gerade in unserer Zeit ist es schwierig, in der Öffentlichkeit zu diskutieren, weil vieles falsch verstanden wird. Darum ziehen sich intelligente Leute zurück, sagen gar nichts und bringen sich auch nicht mehr ein.

Was schade ist.
WEBER: Sehr schade, weil es sicher andere Lösungen gibt für manche Dinge, die große Probleme machen in Österreich und ganz Europa. Leider wird mehr gegen- als miteinander gearbeitet.

Kann eine Fußballmannschaft als Vorbild dienen?
WEBER: Ja, natürlich! Eine optimale Spielanlage mit perfekter Umsetzung muss im Mittelpunkt stehen. Parteien sind längst out, dürfen keine Rolle spielen. Jeder muss mitarbeiten dürfen zum Wohle der Menschen in einer immer schwieriger werdenden Zeit. Es kann nicht sein, dass Ideen und Lösungsvorschläge unter den Tisch gekehrt werden, weil sie von der falschen Partei kommen. Es geht um Österreich und ganz Europa. Die Kulturgüter, Brauchtümer und Eigenheiten einer Region müssen wie bei einem Traditionsverein erhalten bleiben. Und Europa muss sich neu erfinden, sonst besteht die Gefahr, dass womöglich ein Land nach dem anderen von Bord geht.

Also kann eine Mannschaft Vorbildfunktion haben für die Politik?
WEBER: Wenn ich sehe, wie unvorbereitet unsere und die europäische Politik der ungeheuren Flüchtlingswelle gegenübersteht, muss ich sagen, dass sich kein Trainer über längere Zeit derartige taktische Fehler erlauben dürfte. Höchstens er spekuliert mit seiner Beurlaubung.

Was heißt taktische Fehler?
WEBER: Es war zu erwarten, dass der Aufbruch ins Paradies kommen wird. Manche erhoffen sich die Reise ins Glück, wenn sie nach Europa flüchten.

Fehlt die Kontinuität in der Politik?
WEBER: Wenn du als Koalitionspartner über einen großen Zeitraum zusammenarbeitest, musst du dich an die gemeinsame Spielanlage halten. Kontinuität kann nur dann aufkommen, wenn das Parteiendenken der Politiker in den Hintergrund tritt. Solange die eigenen Interessen der einzelnen Verantwortlichen wichtiger sind als die gemeinsamen Erfolge, wird es kaum Siege geben.

Wie sehen Sie die Spielanlage in der Steiermark?
WEBER: Die steirische Spielanlage wurde voller Tatendrang umgesetzt. Fünf Jahre haben die beiden Reformpartner versucht, das Parteiendenken in den Hintergrund zu schieben und viel Herzblut in die Zukunft investiert. Aber anscheinend ist in der Öffentlichkeit zu wenig darüber gesprochen worden, wie gut sich das in Zukunft auswirken könnte.

Sie kritisieren die Kommunikation. Im Fußball sieht man jede Woche Fortschritte. In der Politik bleiben diese auf die Schnelle oft verborgen.
WEBER: Das unterscheidet den Sport von der Politik. Den Fußball bekommt man fast jeden Tag hautnah serviert, attraktive Spielzüge und Torszenen begeistern die Zuschauer. Wenn man ein Projekt forciert wie die beiden Reformpartner, noch dazu mit überhöhter Geschwindigkeit, muss man dafür ständig intensive Werbung betreiben. Sonst ist der Plan zu wenig attraktiv und wird von vielen abgelehnt, wie der Wahlausgang bewiesen hat. 20 Jahre später stünden die beiden Herren nach einer Wahl vielleicht besser da.

Heribert Weber als Politiker – undenkbar?
WEBER: Ab 70, entweder in der österreichischen Politik oder in der FIFA (lacht). Im Ernst: Wenn ich nur nach Brüssel fahre und mit dem Kopf nicke, ist mir das zu wenig.

Ihre Mit- und Gegenspieler haben oft aus Anerkennung genickt. Waren Sie ein Naturtalent oder ein harter Arbeiter?
WEBER: Wer sich nicht ständig erneuert, wird kein Spitzenspieler. Dann blitzt das Talent hin und wieder auf. Aber konstant gut wird man nie.

Gibt es einen unvergesslichen Moment in Ihren 60 Jahren?
WEBER: Es gibt viele Momente, die man nicht miteinander vergleichen kann. Die Geburt meiner Kinder, der erste Meistertitel, die Premiere im Nationalteam oder das erste Europacup-Finale. Und vielleicht eine Anekdote: Wir sind mit Rapid in Saudi-Arabien nach Riad geflogen, weil wir das Stadion gegen das dortige Nationalteam eröffnet haben. Unsere Mannschaft war alleine in einem riesigen Flugzeug. Es gab ein unglaubliches Gewitter, bei dem sich Blitz und Donner im Sekundentakt abgewechselt haben. Otto Baric war damals Trainer. Um die Spieler zu beruhigen, ging er den Gang entlang und sagte in seinem Akzent: „Schauen Sie, habe ich schon alles erlebt. Bei einem Flugzeugabsturz kann ich nichts mehr verlieren.“

Hat das die Spieler beruhigt?
WEBER: Ganz im Gegenteil. Alle haben angefangen, zu beten (lacht).

Zum 60er darf sich Heribert Weber selbst eine Frage stellen.
WEBER: Das ist schwierig. Mir fällt keine ein. Die Frage fehlt mir, aber eine Antwort hätte ich schon (lacht).

INTERVIEW: PETER KLIMKEIT, MICHAEL LORBER