In der norditalienischen Metropole Mailand stehen derzeit nicht wie gewohnt Finanzen, politische Demonstrationen oder etwa Proteste gegen teure Wohnungsmieten im Mittelpunkt. Das wichtigste Thema in Italiens Wirtschafts- und Finanzzentrum ist derzeit Fußball – die Champions League und das vielleicht prestigeträchtigste Stadtduell der Stunde: Internazionale Milano empfängt den AC Milan zum Rückspiel im Kampf um den Finaleinzug – und das mit einem 2:0-Sieg aus dem Hinspiel vor einer Woche im Rücken. Auch in der Liga gab es Grund zur Freude, dank eines 4:2-Sieges gegen Sassuolo zog Inter an Lazio vorbei und ist nun neuer Tabellendritter. Milan hingegen kommt mit der Hypothek des verlorenen Hinspiels zum Rückspiel, musste auch in der Liga ein 0:2 beim abstiegsbedrohten Spezia hinnehmen und ist nur noch Tabellenfünfter.

Wo auch immer in Mailand, am Domplatz oder in der Galleria San Vittore, in Kaffeehäusern, in Schulen und Restaurants – es geht nur um die eine Frage: Wer wird das Halbfinale der Champions League gewinnen? Inter oder Milan? Die Stadt ist gespalten. Während sich die Anhänger Milans primär in den Vororten Mailands sammeln, sind die Inter-Fans vor allem im Zentrum der Stadt zu finden. So bekennen sich bekannte Banker und Manager wie etwa Mediobanca-Chef Alberto Nagel oder Topmanager Alessandro Profumo bedingungslos zu Inter.

Mit Berlusconi die Champions League dominiert

Die "Rossoneri", wie die Milan-Spieler wegen der rot-schwarzen Vereinsfarben auch genannt werden, haben vor allem in Jahren, als Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi Klubeigentümer (1986–2017) war, an Popularität und in dieser Zeit auch fünfmal die Champions League gewonnen. Inzwischen hat Berlusconi den Fußballklub an die US-amerikanische Investmentfirma Redbird verkauft.

Am Sonntag haben sich Tausende Milan-Fans im Vorort Milanello versammelt. Dort, wo ihre Mannschaft trainiert. Familien mit kleinen Kindern, Jugendliche und Senioren sangen im Chor "Siamo con te" (Wir sind mit dir). Damit zeigten sich die Fans trotz der jüngsten Niederlagen mit dem Team solidarisch. Die "Milanisti" hoffen am Dienstag auf das Wunder von San Siro. Giacomo Bonora, Gymnasiast in Mailand, ist ebenso wie Vater Daniele und Bruder Luca seit jeher Milan-Fan. "Unsere Chancen stehen schlecht", gibt er zu. Doch sollten sich die Inter-Fans nicht verfrüht freuen – alles sei noch möglich. Giacomo erzählt von seiner Klasse, die gespalten sei und in der sich die "Milanisti" und "Interisti" inzwischen beschimpfen. Das Champions-League-Stadtderby werde auch im Professoren-Zimmer ausführlich behandelt, weiß er zu berichten.

"Rot" und "Blau" vereint
"Rot" und "Blau" vereint © (c) IMAGO/LaPresse (IMAGO/Spada/LaPresse)

Spaltung ist überall offensichtlich

Milan-Präsident Paolo Scaroni setzt seine Hoffnungen in den jungen portugiesischen Stürmer Rafael Leao, der in den letzten beiden Spielen gefehlt hat. "Zwar hat Milan die Erwartungen zuletzt nicht erfüllt, aber im Fußball ist immer mit allem zu rechnen", gibt Scaroni die allgemeine Stimmung wider. Es werde am Dienstag jedenfalls eine Nacht des großen Fußballs sein, "in der alles passieren kann".

Nicht nur in Mailands Schulen, auch im öffentlichen Leben ist die Spaltung offensichtlich. In unserem Wohnhaus im Mailänder Zentrum Via Soresina wird im Aufzug, im Stiegenhaus, im Eingang über die Champions League diskutiert – und es scheiden sich die Geister. Hauswart Severino, seit Jahrzehnten treuer Anhänger des AC Milan, schlägt vor, dass die Hauseigentümer das Spiel Dienstagabend gemeinsam verfolgen sollten. Er selbst sei gut vorbereitet – auch mit Beruhigungspillen, meint er beschämt. Für ihn, wie für so viele, wäre ein Sieg seines Teams ein persönlicher Triumph.

Das "Derby della Madonnina" ist nach der vergoldeten Madonna-Figur an der Spitze des Mailänder Doms, des Symbols der Stadt, benannt. Das Derby ist weder von kulturellen noch politischen Gegensätzen geprägt. Das enorme Interesse ist auch damit zu erklären, dass Inter Mailand aus der älteren AC Milano hervorging. Bis heute eine Besonderheit: Beide großen Mailänder Vereine teilen sich das Stadio San Siro – und Mailand ist dank AC und Inter derzeit europäische Fußballhauptstadt. Die einzige Stadt, die mit Sicherheit einen Klub im Finale hat.