Tabellenführer nach zwei Champions-League-Runden, Jungstar Karim Adeyemi, der sein "Sevilla-Trauma" eindrucksvoll überwand, dazu der 14. Sieg im 15. Pflichtspiel dieser Saison, in der man noch ohne Niederlage ist: Für Salzburg hing der Fußballhimmel am Mittwoch voller Geigen. Die "Bullen" setzten sich gegen Frankreichs Meister Lille verdient mit 2:1 durch, der erstmalige Aufstieg in die K.o.-Phase wäre eigentlich nur folgerichtig. Coach Matthias Jaissle stieg auf die Bremse.
"Wir haben noch keinen Titel gewonnen, aktuell können wir uns nichts kaufen. Grundsätzlich hat sich für uns nichts geändert, wir fahren ganz gut damit, dass wir auf dem Boden bleiben", betonte der Erfolgscoach, und Adeyemi gab ihm recht. "Es ist zwar unglaublich, etwas Schönes, aber im Prinzip haben wir noch nichts gewonnen", meinte der Doppeltorschütze. Mit seinen erst 19 Jahren war er gegen Frankreichs Überraschungsmeister, der aktuell aber auch national nur mühsam in Schwung kommt, der zweitjüngste Kicker in einer ohnehin blutjungen Startelf (Schnitt 20,7 Jahre). Aktuell sei die Unerfahrenheit in Verbindung mit Unbekümmertheit sicher eine klare Stärke, wie Adeyemi bemerkte. "Auf jeden Fall ist das so. Wir sind alle extrem positiv", gab er zu Protokoll.
In Sevilla hatte Adeyemi beim ersten Versuch vom Punkt noch Fortune gefehlt, diesmal präsentierte sich der 19-jährige eiskalt. Auch dass Lille-Goalie Ivo Grbic beim ersten Strafstoß (35.) mit der Hand dran war ("Da ist mit das Herz kurz stehengeblieben") konnte nichts daran ändern, dass er beim zweiten (53.) Grbic mit einem Schuss genau in die Mitte düpierte. "Wir wussten von Anfang an, dass hier etwas geht - und wir haben es gezeigt", freute sich Adeyemi, wie schon in Sevilla zum "Spieler des Spiels" gekürt und gab zu: "Ich habe im Training Elfmeter geübt."
Jaissle bestätigte, dass Adeyemi auch als erster Elferschütze bestimmt war. "Er hat sich heute belohnt", freute sich der Coach mit dem DFB-Teamspieler, der mit dem vierten herausgeholten Elfer (dreimal in Sevilla) in einer CL-Saison noch dazu einen Rekord von Arjen Robben einstellte. Den Assist für den zweiten Elfer durfte sich Verteidiger Maximilian Wöber gutschreiben, dessen Freistoß Yilmaz Burak mit der Hand berührte. "Es war ein Bombenspiel von uns. Wir waren in der ersten Hälfte die dominantere, bessere Mannschaft, vorne waren wir diesmal eiskalt", sagte der Innenverteidiger auf "Sky".
Wöber, der zuletzt mit einer Muskelblessur gefehlt hatte, war rechtzeitig fit geworden und sorgte mit einer starken Leistung an der Seite von Jerome Onguene bzw. im Verbund mit der gesamten Mannschaft dafür, dass die Offensive von Lille keinen Stich machte. Selbst der einzige LOSC-Treffer durch einen Yilmaz-Freistoß ging eigentlich auf das Konto von Salzburg-Goalie Philipp Köhn ("Den kreide ich mir selbst an"). Jaissle konnte nicht umhin, sein Team für eine ebenso engagierte wie taktisch disziplinierte Vorstellung zu loben. "Die Defensivarbeit war richtig gut", befand der 33-Jährige.
"Gerade in der Anfangsphase hat Lille gezeigt, welche Qualität in der Mannschaft steckt", gab Jaissle zu bedenken. Umso schöner sei es gewesen, zu sehen, wie seine Truppe sich "in das Spiel hineingefightet" habe. Sein Pendant bei Lille, Jocelyn Gourvennec zollte den "Bullen" Respekt: "Das Pressing von Salzburg war enorm stark, wir sind ihnen in die Falle gegangen. Und im letzten Drittel haben wir unsere Aktionen zu wenig ausgespielt. Es ist frustrierend, nicht mehr Punkte zu haben, aber es sind noch vier Spiele zu spielen."
Jaissles Jubel nach Abpfiff fiel nicht nur deswegen so intensiv aus, weil er eine traumhafte Premierensaison im Profibereich samt einem Punkteschnitt von 2,87 erlebt. Nach den Siegen über Genk (2019/20) und Lok Moskau (2020/21) konnte sich Salzburg erstmals in der Königsklasse gegen ein Team aus einer der Top-Fünf-Ligen (Deutschland, England, Spanien, Italien, Frankreich) durchsetzen. "Es wird dieser jungen Truppe sicher Rückenwind geben", zeigte sich Jaissle überzeugt.
Schon in drei Wochen könnte man auch in dieser Hinsicht nachlegen. Am 20. Oktober gastiert der VfL Wolfsburg in Wals-Siezenheim, die Deutschen mussten sich am Mittwoch gegen Sevilla mit einem 1:1 begnügen und liegen punktegleich mit den Spaniern (je 2) hinter Salzburg (4), Lille (1) ist Letzter. Jaissle versprühte Zuversicht: "Wir wollen alle weitermarschieren."