Nach dem Abgang von Hansi Flick im vergangenen Jahr verzogen sich die Gewitterwolken in Fußball-Deutschland wieder. Mit dem Engagement des jüngsten aller EM-Trainer, Julian Nagelsmann, brachte unser Nachbar frischen Wind ins sandige Verbandsgetriebe. Gerade rechtzeitig, um vor der Heim-EM mit passendem Automobil-Sponsor auf der Brust Fahrt aufzunehmen. Zu Beginn des Jahres wurde an ein paar nicht unwesentliche Stellschrauben am deutschen Motor gedreht: Leon Goretzka und Mats Hummels blieben zu Hause, Toni Kroos kam als Chef in der Zentrale zurück.

Das heißt: Klare Positionierung und Struktur in der Verteidigung und vorne agiert man mit ganz viel PS. Im Normalfall brauchen Jamal Musiala und Florian Wirtz kein Starterkabel, um eine solch große Fußballnation im Eröffnungsspiel gegen Schottland in Ekstase zu versetzen. Ein schnelles Tor, ein Sieg im ersten Gruppenspiel – und 83,8 Million deutsche Teamchefs stehen kopf. Die Stimmung wird unbeschreiblich werden, der Europameister soll nach 28 Jahren wieder Deutschland heißen.

4-2-3-1? Kein Anschluss unter dieser Nummer

Aber geht das wirklich so einfach? Die Chancen sind groß, ein neues Fußball-Erfolgskapitel zu schreiben. Denn das „Sommermärchen 2006“ ist ja quasi schon verjährt, der Begriff „Die Mannschaft“ muss neu formuliert, neu geschrieben werden. Am besten mit Julian Nagelsmanns Lieblingsformation 4-2-3-1. Laut meines Telefons ist diese Nummer aber derzeit nicht erreichbar. Kein Wunder, bereiten sich die Deutschen professionell im bayrischen Herzogenaurach auf die heimische Europameisterschaft vor.

Viel Professionalität und Disziplin im defensiven Bereich wird auch von den Schotten verlangt, um dem deutschen Offensivschwung Paroli zu bieten. Statistisch gesehen bekam das Team von Steve Clarke in den letzten neun internationalen Bewerbsspielen 21 Gegentore. Die Verteidigung scheint also löchrig wie Schweizer Käse; den dürfen ja beide Nationen in dieser Gruppenphase noch verköstigen. Oder waren es vielleicht doch zu viele Feierlichkeiten und der Zapfenstreich wurde bei John McGinn & Co bei dem einen oder anderen Lehrgang überzogen? „No Scotland, no Party“ sollte kein Partycrasher für die Deutschen werden. Soviel steht fest.

Johnny Ertl (41), Ex-Fußballer mit Stationen bei Sturm, Austria Wien, Crystal Palace, TV-Experte, Forstwirt, Unternehmer

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