Mit rund 27.000 Einwohnern ist Eibar die kleinste Stadt, die jemals mit einem Verein in Spaniens Eliteliga Primera Division vertreten war. Am Sonntag hat einer der bekanntesten Söhne der auf halber Strecke zwischen Bilbao und San Sebastian gelegenen Ortschaft an zusätzlicher Größe gewonnen. Mikel Oyarzabal schoss Spanien im EM-Finale zum 2:1-Sieg gegen England und schrieb damit Fußballgeschichte. Auch der erste Treffer ging auf das Konto eines Basken. Nico Williams gehört einer Generation an, der man weitere Heldentaten zutrauen kann. Gemeinsam steht das Duo für eine immer bewundernswertere Stressresistenz spanischer Fußballer. Einheit – Nervenstärke – (goldene) Zukunft: Drei wichtige Aspekte des spanischen Triumphs.

Einheit: „Ich denke, dass Fußballer einen Einfluss auf die Gesellschaft haben“, philosophierte Teamchef Luis de la Fuente, nachdem sich Spanien mit dem vierten Titel zum Rekord-Europameister krönte. Diese Generation bestünde nicht aus verwöhnten Burschen, sondern aus jungen Spielern, die den Willen und die Mentalität haben, alles zu geben.

Neben individueller Klasse benötigt es entsprechenden Teamgeist, um bei einem Großereignis wie der EM zu reüssieren. Was wie eine Floskel klingt, wird nicht grundlos immer wieder betont. In diesem Zusammenhang ist der Begriff Einheit für spanische Auswahl zweifelsohne zulässig. 26 Kaderspieler und ihre Betreuer präsentierten ihr Land als ebenso moderne, vielfältige und leistungsstarke Mischung aus erfahrenen und aufstrebenden Kräften. Ein symbolträchtiger Zusammenhalt für ein Land, in dem der Begriff Einheit ansonsten ein komplizierter ist.

Gerade im Baskenland und in Katalonien tut man sich mit spanischem Nationalstolz gerne schwer. Die Motivlage für Separatismus mag vielschichtig sein. Aus fußballerischem Blickwinkel stehen jedoch gerade der Katalane Lamine Yamal und der Baske Nico Williams stellvertretend für bereits in Spanien geborene Kinder von Einwanderern, die sich trotz bisweilen schwierigster Umstände nach oben gekämpft haben.

Williams erinnerte am Rande der Party von Berlin an seine Familiengeschichte. Seine Eltern flüchteten mit Hilfe von Schleppern aus Ghana durch die Sahara nach Spanien, wo sie politisches Asyl erhielten. Seine Mutter war bereits schwanger mit Inaki, der heute an der Seite seines Bruders als Profi bei Athletic Bilbao kickt, international allerdings für Ghana aufläuft. „Meine Eltern haben sehr viel gelitten, um hierherzukommen. Sie haben mir Respekt und Loyalität beigebracht“, sagte Nico nach seinem Treffer im EM-Finale.

Loyalität ist eine wichtige Eigenschaft im Baskenland, auch im Fußball. Bei Athletic spielen nur Basken, mit Stammtormann Unai Simon und Dani Vivian stellt Bilbao zwei weitere frischgebackene Europameister. Der zweite baskische Vorzeigeverein Real Sociedad entsandte Alex Remiro, Robin Le Normand, Martin Zubimendi, Viertelfinal-Held Mikel Merino und eben Oyarzabal zur EM. Auch Routinier Aymeric Laporte ist Baske.

Überschätzen sollte man die vereinende Wirkung eines Erfolgserlebnisses im Fußball auch wieder nicht. Bereits am Montag meinte mit Arnaldo Otegi einer der einflussreichsten baskischen Politiker, dass er sich niemals über einen Sieg der spanischen Nationalmannschaft freuen werde, weil „es nicht meine Mannschaft, nicht mein König und nicht meine Hymne“ sei. Dennoch war bei der EM zu sehen, dass es auch gemeinsam geht.

Nervenstärke: Gemeinsam, egal aus welcher Gegend Spaniens, basteln alle Vereine an einer an einer beeindruckenden Statistik. Bei 23 Europacup-Endspielen mit spanischer Beteiligung in Folge steht die Siegesserie, spanische Verlierer gab es nur bei ligainternen Duellen. Gebastelt wird an dieser Bilanz seit 2002. Die letzten Finalpleiten gegen nichtspanische Kontrahenten? Valencia verlor 2001 in der Champions League gegen Bayern, im selben Jahr unterlag Alaves im UEFA-Cup in einem der legendärsten Europacup-Endspiele aller Zeiten dem FC Liverpool mit 4:5.

Dazu kommen die drei EM-Titel 2008, 2012 und nun 2024 sowie das gewonnene WM-Finale 2010. Ein „Klub 27“ der besonderen Art. Wenn man nicht in Schönheit stirbt, wenn es drauf ankommt, sondern voll da ist, ist es definitiv eine Qualität.

Zukunft: Die Prognose, dass Spanien noch einige Zeit an der absoluten Weltspitze mitspielen wird, ist nicht nur wegen Yamal und Williams keine allzu gewagte. Zu den Posterboys gehört auch der im Finale verletzt fehlende Pedri (21). Mit Barca-Juwel Gavi fehlte ein 19-Jähriger, der bereits 27 Länderspiele absolviert hat, wegen eines Kreuzbandrisses. Auch Vereinskollege Alejandro Balde (20) musste verletzungsbedingt w.o. geben. Mit dem 17-jährigen Pau Cubarsi hat ein weiterer Barca-Rohdiamant im Frühjahr bereits für das A-Team debütiert.

An Akteuren im Altersspektrum Anfang 20 mangelt es definitiv nicht. Seit 2010 wurde Spanien drei Mal U21-Europameister, vier Mal triumphierte man am U19-Level. Wer derart bemüht ausbildet, darf weiterhin zuversichtlich auf die kommenden Turniere blicken. Auch der Titel-Hattrick der goldenen Vorgänger-Generation startete 2008 mit dem EM-Titel.