Gute und schöne Momente hätte er in diesem Stadion erlebt, erinnert sich Konrad Laimer, „gefühlt kenne ich dort alles auswendig.“ Es ist ein verkapptes Heimspiel, das im EM-Achtelfinale gegen die Türkei auf einige Protagonisten des Nationalteams wartet. Für Teamchef Ralf Rangnick sowie für Laimer und Marcel Sabitzer ist es die Rückkehr an den langjährigen, für Nicolas Seiwald und Christoph Baumgartner an den aktuellen Wohn- und Arbeitsort.
Co-Trainer Lars Kornetka assistierte seinem Chef einst schon in Leipzig. Mit den verletzten Xaver Schlager und Alexander Schlager (in der Jugend bei RBL) kennen sich zwei weitere ÖFB-Stammkräfte in der Sachsen-Metropole bestens aus. Der Aufschwung des Nationalteams ist eng mit der Idee des RB-Fußballs verbunden, in entsprechend vielen Lebensläufen taucht Leipzig auf.
Sabitzer reifte bei „RasenBallsport Leipzig“, wie er Verein offiziell heißt, von 2015 bi 2021 zu einem Kandidaten für Weltvereine, seither lief er für den FC Bayern, Manchester United und Borussia Dortmund auf. Die Fans seines langjährigen Arbeitgebers allerdings scheinen ihm seinen Wechsel nach München nach wie vor vorzuhalten, auch wenn er Leipzig immerhin eine Einnahme von 15 Millionen Euro bescherte. „Bei meinen letzten Empfängen in Leipzig wurde ich immer ausgepfiffen. Das hat mich schon getroffen, denn ich habe dort über viele Jahre meine Leistung gebracht und war Kapitän.“
Laimer verließ den Klub im Sommer 2023 nach ebenfalls sechs Jahren, ebenfalls zum FC Bayern, allerdings ablösefrei. Bei seiner bis dato einzigen Rückkehr erlebte er keine negativen Reaktionen: „Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht mehr, ob ich ausgepfiffen wurde. Also kann es nicht so schlimm gewesen sein.“ Dafür wurde er am Rande des Gastspiels mit den Bayern (2:2) sogar offiziell verabschiedet. „Ich freue mich, dass wir jetzt in Leipzig spielen. Ein Achtelfinale bei einer Euro ist etwas Besonderes. Ich hoffe, dass ich einen nächsten sehr schönen Moment in diesem Stadion feiern kann.“
RB Leipzig ist ein noch junger Fußballverein mit umstrittener Gründungsgeschichte. Als Filiale des Red-Bull-Konzerns ist die Bindung nach Österreich eine enge. Entsprechend intensiv gestaltete sich in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten der Austausch an Spielern mit dem Partnerverein in Salzburg. Mit Roman Wallner, Georg Teigl, Stefan Hierländer, Stefan Ilsanker, Laimer, Hannes Wolf und Seiwald übersiedelten sieben Österreicher direkt aus der Mozartstadt nach Leipzig. Sabitzer ging am Papier den anderen Weg und wurde 2014 nach dem Kauf durch Leipzig für ein Jahr nach Salzburg verliehen.
Baumgartner und Seiwald mit teils holprigem Start
Man kann jedoch auch über Umwege wie Xaver Schlager (von Salzburg erst zu Wolfsburg) oder wie Baumgartner ohne RB-Vergangenheit bei den „Roten Bullen“ landen. Der Niederösterreicher kam vergangenen Sommer für 25,5 Millionen Euro aus Hoffenheim und legte ein erstes Jahr „mit Höhen und Tiefen“ hin. Nachdem ihn in der Vorbereitung eine Verletzung gebremst hatte, kam der 24-Jährige zwar in 40 Pflichtspielen zum Einsatz, jedoch nie über 90 Minuten. Oft musste er sich mit der Jokerrolle begnügen. „Es war nicht einfach, in die Mannschaft reinzukommen, aber ich denke, ich habe trotzdem gezeigt, dass ich helfen kann. Es war nicht alles so, wie ich es mir vorgestellt habe, aber ich bin auf einem ordentlichen Weg“, findet Baumgartner.
20 Millionen Euro ließ sich Leipzig vor einem Jahr die Dienste von Seiwald kosten. Im Nationalteam ist der Salzburger als Marathonmann gesetzt, unter Vereins-Trainer Marco Rose hatte er einen schweren Stand. Erst nach dem Kreuzbandriss von Landsmann Schlager spielte er regelmäßig. „Es war ein großer Schritt nach Leipzig, da ist ein ganz anderer Konkurrenzkampf als in Salzburg“, erläutert der 23-Jährige. Im ÖFB-Team würde er Vertrauen spüren, was seinem Selbstvertrauen guttut.
Geschenkt bekommt einer der formstärksten Österreicher bei der EM dieses Vertrauen von Rangnick, der sowohl in Salzburg, als auch in Leipzig als Architekt des Erfolgs gilt. In seinen Anfangsjahren bei Red Bull für beide Fußball-Standorte als Sportdirektor zuständig, rückte ab 2015 und bis 2021 Leipzig in seinen Fokus, wo er als Sportchef und zwei Saisonen lang auch als Trainer wirkte. Von seiner mittlerweile verkauften Wohnung aus blickte er direkt auf das Leipziger Stadion.
Im früheren „Wohnzimmer“ soll Österreich am Dienstag wieder „seinen“ Fußball zeigen, der bei der EM bislang für Furore sorgte. „Sie haben so gute Automatismen, sind so gut eingespielt, dass Österreich aussieht wie ein Verein und keine Nationalmannschaft“, zieht mit Vincenzo Montella der Teamchef der Türkei den Hut. Die Basis dafür ist, dass diverse Schlüsselspieler jahrelang im Rangnick-System gespielt haben, sei es in Salzburg oder Leipzig. „Dass einige die gleiche Ausbildung hatten, schadet natürlich nicht. Aber wir haben auch andere Spieler dabei, die sich genauso perfekt einfügen“, sagt Laimer. Das Erfolgsgeheimnis ist ohnehin, dass alle dieselbe Idee verfolgen. „Wir wissen, wie wir Fußball spielen wollen“, so Laimer.
Intensität, aggressive Jagd auf den Ball, schnelles Umschalten, der direkte Weg zum Tor. Die wichtigsten Elemente des Red-Bull-Fußballs sind im Nationalteam implementiert. Aber als reiner Umschaltfußball geht das ÖFB-Spiel für den Erfinder des RB-Stils auch nicht mehr durch. Im Nationalteam würde viel Zeit in das Agieren mit Ball investiert, unterstreicht Rangnick: „Gegen die Niederlande hatten wir in den ersten 20 Minuten gefühlt 80 Prozent Ballbesitz. Da von Red-Bull-Fußball zu sprechen, macht nicht wirklich Sinn. Wir spielen, wie es optimal zu den Spielern passt.“