Große Erleichterung aber auch Frust haben sich nach dem glücklichen EM-Achtelfinalaufstieg Italiens bei Luciano Spalletti entladen. Der Trainer des Titelverteidigers redete sich infolge des 1:1 gegen Kroatien in Rage und rechnete mit den Kritikern ab. Die Kroaten indes leckten angesichts des - höchst wahrscheinlichen - EM-Aus‘ ihre Wunden. „Wir haben es nicht verdient, diesen Ausgleich zu kassieren“, haderte Kroatiens Superstar Luka Modric.

Modric hatte die Kroaten in Leipzig in der 55. Minute - nur wenige Sekunden nachdem er einen Elfer gegen Goalie Gianluigi Donnarumma verschossen hatte - in Führung gebracht und sich mit 38 Jahren und 289 Tagen zum ältesten EM-Torschützen gekürt. ÖFB-Kicker Ivica Vastic, der 2008 gegen beim 1:1 gegen Polen 38 Jahre und 257 Tage am Buckel hatte, war damit abgelöst. Doch dann kam die 98. Minute und der Ausgleich durch Mattia Zaccagni. „Fußball ist manchmal brutal“, sagte Modric in seiner ersten Enttäuschung. „Und heute war das Spiel brutal für uns. Aber es ist, wie es ist.“ Das Achtelfinale ist nur noch mit umfangreicher Schützenhilfe von mehreren Teams in Gruppe C (am heutigen Dienstag) und F (Mittwoch) möglich - die Wahrscheinlichkeit geht gegen null.

Das in die Jahre gekommene kroatische Team kämpfte in den letzten Tagen in Deutschland schon vor dem späten italienischen Ausgleich äußerst unglücklich. „Wir haben gegen Albanien in der Nachspielzeit den Ausgleich kassiert, und jetzt gegen Italien nochmals“, resümierte Teamchef Zlatko Dalic. „Bei diesem Turnier lief alles gegen uns. Ich kann meinen Spielern keinen Vorwurf machen. Es war einfach nicht unser Turnier.“

Kritische Worte fand Dalic dagegen für die Spielleitung. „Acht Minuten Nachspielzeit waren heute auf keinen Fall berechtigt. Es gab keine Spielunterbrechungen und auch nicht so viele Fouls. Mich nervt, dass Kroatien nicht respektiert und anerkannt wird. Die Partie dauerte viel zu lange.“

Genervt zeigte sich auch Spalletti - allerdings von Italiens Medien. Gleich der ersten Frage bei der Pressekonferenz folgte ein längerer Monolog. In diesem sprach er auch von einem möglichen Maulwurf, weil der italienische Reporter Insiderwissen habe, dass er nach Spallettis Auffassung nicht haben dürfe. „Es gibt im Team offenbar jemanden, der die Information durchgibt, und derjenige schadet dem Team“, sagte Spalletti.

Die Leistung gegen Kroatien gab den Kritikern aber erneut einige Vorlagen. Mutlos wirkte die Mannschaft gegen den kämpferischen WM-Dritten, auch ideenlos. An den EM-Titel braucht man aktuell nicht zu denken. Als „zerbrechlich“ bezeichnete „La Repubblica“ die Italiener. Ein Weiterkommen „mit dem letzten Atemzug, als nur noch die unerschütterlichsten Optimisten daran geglaubt hatten“, schrieb der „Corriere dello Sport“.

Spalletti selbst jubelte nach dem sehenswerten Ausgleich mit dem Ex-Weltmeister und jetzigen Teammanager Gianluigi Buffon entfesselt wie selten. Ein mögliches frühes Scheitern der Italiener nach den verpassten WM-Endrunden 2018 und 2022 wäre ein weiterer Tiefpunkt im Land der Tifosi geworden, der Glanz des Titels 2021 mit einem Schlag verblasst. So wartet nun im Achtelfinale Samstag im Berliner Olympiastadion die Schweiz.

Luciano Spalletti war nach dem 1:1 zugleich glücklich und sauer
Luciano Spalletti war nach dem 1:1 zugleich glücklich und sauer © GEPA pictures

„Wir haben Spieler, die die Qualität haben, diese Spiele zu spielen. Aber wir machen Fehler, die zu trivial sind. Wir sind besser als das, was wir gesehen haben“, sagte Spalletti im TV: Er erwarte mehr von seinen Spielern. Bei der Pressekonferenz verteidigte er eben diese Spieler wie auch sich selbst und seine Personalentscheidungen vehement. Angesprochen auf eine angebliche Abmachung mit der Mannschaft unter der Woche mit Blick auf die Startelf, redete er sich in Rage.

„Wie alt sind Sie?“, entgegnete er dem Fragesteller mit deutlich erhöhter Lautstärke. „51. Ich bin 65. Ich bin 14 Jahre älter. Ich suche immer das Gespräch mit meinen Spielern. Ich muss meinen Spielern Gehör schenken. Und was ist daran falsch, wenn die Startaufstellung das Ergebnis von Gesprächen war?“

Der Himmel voller Geigen hängt hingegen bei Italiens Gruppengegner Spanien, der auch mit einer B-Elf Albanien in Düsseldorf 1:0 besiegte und bei voller Punkteanzahl ohne Gegentreffer aufstieg - auf seinen Kontrahenten aber noch warten muss. Angesichts der bisherigen Souveränität trat Trainer Luis de la Fuente freilich auf die Euphoriebremse. Das Land hätte eine „wunderbare Generation von Spielern“, erklärte der 63-Jährige. „Aber wir müssen unsere Füße auf dem Boden behalten. Wir müssen kühlen Kopf bewahren.“