Der Kommentator trotzte dem Wetter. „Unaufhörlich prasselt der Regen“, schmetterte Herbert Zimmmermann in sein Mikrofon. Nein, er meldete sich nicht aus dem Dortmunder Westfalenstadion, wo vor dem 3:1 Erfolg der Türkei im EM-Spiel gegen Georgien wolkenbruchartige Regengüsse niedergingen. Er sprach aus Bern und schilderte das Finale der Fußball-WM 1954. Deutschland spielte gegen die seit Jahren ungeschlagene Mannschaft von Ungarn um Wunderstürmer Ferenc Puskás. Es goss in Strömen. Und nun ja, sie hat gewonnen die Auswahl des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) um Kapitän Fritz Walter. 

Seit jenem Tag pflegt der deutsche Fußball ein besonderes Verhältnis. Zu Fritz Walter. Und zum Regen. Und das nicht nur bei wichtigen spielen wie am Mittwoch bei der EM in Stuttgart gegen Ungarn. In Walters Heimat, rund um den Betzenberg des 1. FC Kaiserslautern, haben sie sogar eine ganze Wetterlage nach dem Fußballer benannt. Fritz-Walter-Wetter, sagen sie in der Pfalz, schon wenn es auch nur leise tröpfelt. Und erst recht, wenn es schüttet aus Kübeln. Alle reden vom Wetter. Auch der Fußball. 

Erst recht seit diesem Dienstag. Der Niederschlag macht nämlich nicht nur den Spielern zu schaffen, sondern auch den Anhängern. An mehreren EM-Standorten mussten die Fanmeilen schließen. In Düsseldorf ging nichts mehr, in Leipzig ging die Fanzone für das Public Viewing vor dem Spiel Portugals gegen Tschechien erst auf, dann wieder zu. Zu riskant bei dem Wetter. Fritz Walter mochte den Regen irgendwie. Auch an jenem fernen Juli-Tag in der Schweiz. „Ich laufe hinaus auf die Veranda, tatsächlich, es regnet, regnet kühl und zuverlässig. Jetzt ist alles klar, jetzt kann nichts mehr schief gehen“, hielt er in seinen Erinnerungen fest. 

Adi Dassler und die Stollen

Eigentlich unterstützt der Regen eher den unterlegen Gegner: Stichwort tiefer Boden. In Deutschland hatten sie sich mal wieder eine eigene Lösung ausgedacht. Adi Dassler, Gründer des Sportartikel-Herstellers adidas, hatte eigens für die WM in der Schweiz die Schraubstollen ertüftelt: Spikes für das fußballerische Schuhwerk, die an wechselnde Bedingungen angepasst werden können. Die Standfestigkeit hat geholfen. 

Auch danach sind sie in Deutschland den technischen Lösungen treu geblieben. Die WM 1974 im eigenen Land endete zwar mit dem Titel, aber von Sommermärchen war damals keine Rede. Die Heim-WM fiel in einen unendlichen Regensommer. Sogar Demonstrationen gab es. Für mehr Sonne. „Sechs Wochen nur Regen und Sturm, der Mensch ist doch kein Regenwurm“, lautete der Slogan. Doch ließ sich das Wetter nicht beeindrucken. Vor dem Halbfinale gegen die favorisierten Polen im Frankfurter Waldstadion regnete es Bindfäden. Der Platz stand unter Wasser. Eine Lösung musste her. Mit Walzen wurde angerückt, Polizeihubschrauber flogen tief über den Rasen - nur um das Spielfeld irgendwie trocken zu legen. Hat so mäßig geklappt. Das Spiel ging als „Wasserschlacht von Frankfurt“ in die Annalen ein. Immerhin, sportlich hat‘s geholfen. Die DFB-Elf gewann 1:0. Es folgte der WM-Gewinn. 

Ein Wetter wie damals

Die Walzen von Frankfurt stehen heute im deutschen Fußballmuseum in Essen. Auch sonst hat sich viel gewandelt. Schraubstollen sind längst Geschichte. Und in den modernen Arenen wird vor hochklassigen Begegnungen der Rasen gewässert. Der feuchte Untergrund macht den Ball - früher Leder, das sich mit Wasser zu einer schweren Kugel vollsog, heute wasserabweisender Kunststoff - schnell. Ein Vorteil für technisch versierte Mannschaften.

In Deutschland erinnern sie sich in diesen Tagen an den letzten großen fußballerischen Erfolg. Den WM-Titel in Brasilien vor zehn Jahren. Das Endspiel gegen Argentinien ist dabei weniger in Erinnerung geblieben als das legendäre 7:1 im Halbfinale gegen Brasilien. In der Heimat hat‘s während des Spiels übrigens geregnet. Fußball ist eben Kopfsache. Es hilft auch der Aberglaube. Wettermäßig kann es also so weitergehen. Zumindest für die Gastgeber der Euro 2024.