Herr Kocian, vor 20 Jahren sind Sie aus der damaligen Tschechoslowakei in den "goldenen" Westen nach Hamburg gekommen. Wie groß war denn der "Kulturschock"?
JAN KOCIAN: Ziemlich groß. Auch wenn ich als Sportler schon zuvor immer wieder im Ausland sein durfte. Aber wenn es dann plötzlich für immer ist, dann muss man das erst verarbeiten. Man hat ja schließlich ein Leben hinter sich gelassen. Verwandte, Freunde. Damals wussten wir ja noch nicht, dass die wenige Jahre später auch einfach so ausreisen können. Und das ist mir anfangs nicht so ganz leicht gefallen.

Warum?
KOCIAN:Weil meine Frau erst nach rund vier Monaten nachkommen durfte, und in dieser Zeit hat mich stets eine unangenehme Ungewissheit begleitet. Was, wenn noch irgend etwas schief geht?

Was hätte schief gehen können?
KOCIAN: Das wusste man damals nie so genau, daher sind wir auch nicht schon vorher geflohen.

Sie hätten fliehen können?
KOCIAN: Ja. Ich spielte mit Dukla Bystrica im Europacup auswärts gegen Mönchengladbach und wir durften von den Spielerfrauen begleitet werden. Und ich kann mich erinnern, als wäre es erst gestern gewesen, wie meine Frau Hana und ich auf der Straße gestanden sind und uns fragend angeschaut haben. Springen wir ab? Bleiben wir hier?

Warum haben Sie es denn nicht riskiert? Da hätte doch nichts mehr schief gehen können?
KOCIAN: Doch. Denn unser Sohn, der damals drei war, ist zu Hause bei den Großeltern geblieben. Und wir wollten nicht riskieren, dass der Kleine nicht zu uns nachkommen darf. Das wäre das Schlimmste gewesen. Uns hat einfach der Mut gefehlt. Außerdem wäre man als Flüchtling erst einmal gleich 18 Monate für Pflichtspiele gesperrt gewesen.

Warum durften Sie 1988 dann offiziell wechseln?
KOCIAN: Weil ich 30 war, 200 Ligaspiele absolviert hatte und auch dem Nationalteam angehörte. Das waren die Voraussetzungen. Allerdings war es ein kleines Wunder, dass es ein Spieler von Bystrica schafft. In den Genuss eines Auslandsengagements sind ja fast nur Spieler von den Prager Großklubs gekommen. Und da Bystrica ein Militärverein war, musste ich das Okay auch von höchster Stelle holen. Zwar nicht gerade vom Präsidenten, aber fast.

Haben Sie als Fußballer viele Privilegien genossen?
KOCIAN: Einige. Als Fußballer kam man leichter an eine schönere oder größere Wohnung oder an ein besseres Auto. Man konnte sich freier bewegen.

Und wie kam St. Pauli auf Sie?
KOCIAN: Ein Hamburger Spielervermittler hat mich bei einem Turnier in Singapur gesehen und den Kontakt hergestellt. Ich habe dann ein Probetraining bei St. Pauli absolviert und sie haben mich genommen.

Angeblich ist St. Pauli ja nach wie vor Ihr Traumklub.
KOCIAN: Das stimmt. St. Pauli ist unglaublich, der Kiez-Klub ist Kult. Wenn ich dort je Trainer sein dürfte, würde ich zu Fuß hingehen. Egal, wo ich gerade wäre.

Derzeit sind Sie in Wien, auch wenn Sie und Ihre Familie nach wie vor in Köln leben. Schon etwas gesehen von der Stadt außer ein paar Trainingsplätze, Stadien und Hotelzimmer?
KOCIAN: Wenig. Ich warte, bis auch meine Frau einmal länger hier in der Stadt ist. Dann werden wir auf Erkundungstour gehen.