Ein Kaffeehaus in der Wiener Innenstadt. Das Interview mit Otto Rehhagel findet noch immer nicht statt, denn inzwischen kommt schon wieder ein deutscher Tourist an den Tisch und plaudert ein paar Sätze mit dem Erfolgstrainer. Wenig später dann, die Luft ist rein.

Otto Rehhagel: Entschuldigung.
Keine Ursache, aber sagen Sie, sind Sie immer so freundlich?
Otto Rehhagel: Ja. Außerdem war das jetzt nahezu harmlos. Sie sollten mal nach Athen kommen und dort mit mir in einem Cafe sitzen.

Suchen die Öffentlichkeit?
Otto Rehhagel: Gegenfrage: Soll ich mich in meiner Wohnung verkriechen?

Auch wieder wahr.
Otto Rehhagel: Ich war nie ein Mensch, der sich verschließt.

So beispielsweise auch der Kunst, speziell dem Theater nicht. Wie kam es denn zu dieser Liebe?
Otto Rehhagel: Das war 1960. Ich war mit dem deutschen Amateurteam in Polen, in Warschau, und dort sind wir an einem Abend in die Oper gegangen. "Romeo und Julia" als Ballett. Ich war völlig fasziniert. Die Beweglichkeit der Tänzer, wie synchron da alles abgelaufen ist. Es war wunderbar. Und so wuchs meine Neugierde.

Jürgen Flimm, der Schauspielchef der Salzburger Festspiele, zählt zu Ihren besten Freunden.
Otto Rehhagel: Ein toller Mann. Ich habe ihn vor sehr vielen Jahren in einer Talkshow kennen gelernt und die Chance genützt, ihn nach der Sendung viel über Theater zu fragen. So entstand der Kontakt.

Wie viel Theater steckt denn im Fußball?
Otto Rehhagel: Sehr viel. Und darum sage ich jenen Menschen, die sich darüber beschweren, dass ich oft unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainiere, dass bei Proben im Theater ja auch keine Menschen im Saal sitzen. Die Spiele, das sind die Vorstellungen, da erst will ich das Publikum haben.

Im kommenden Jahr sind die Schweiz und Österreich Bühne. Wie hoch schätzen sie als Trainer des regierenden Europameisters Griechenland denn die Chancen Österreichs?
Otto Rehhagel: Auch wenn es derzeit wirklich nicht rosig aussieht, in dem Moment, in dem es losgeht, kannst und musst du absolut alles vergessen, was im Vorfeld war. Da kann man, vor allem, wenn man so gar nichts zu verlieren hat, über sich hinauswachsen. Und genau das wünsche ich dem Josef Hickersberger und dem Andi Herzog, die ich beide ganz besonders schätze.

Trauen Sie Ihrem ehemaligen Schützling Andreas Herzog eine erfolgreiche Trainerkarriere zu?
Otto Rehhagel: Absolut. Weil er ein hochintelligenter Bursche ist und mit Josef Hickersberger einen exzellenten Lehrmeister. Auch wenn die Resultate nicht darauf schließen lassen, der Josef ist ein großer Fachmann.

Einer der größten Experten sind aber sicherlich Sie. Was bedeuten Ihnen Rekorde wie beispielsweise die sagenhaften 820 Spiele, die sie als Coach in der Bundesliga auf der Bank gesessen sind? Ist das eine nackte Zahl oder mehr?
Otto Rehhagel: Viel mehr. Rekorde sind in gewisser Weise Genugtuung und machen einen stolz. Es gibt zum Beispiel keinen anderen Trainer, der so oft gegen Bayern München gewonnen hat, wie ich. Oder dass ich 14 Jahre Trainer bei Werder Bremen war.

Wenn wir schon bei Jahren sind. Sie sind 68 und wirken vital wie ein 40-Jähriger. Was hält Sie jung?
Otto Rehhagel: Sicherlich auch mein Lebenswandel. Ich war bis vor ein paar Jahren Antialkoholiker, inzwischen trinke ich ab und zu ein gutes Glas Wein zum Essen. Aber alles mit Maß und Ziel.

Sind Sie eitel?
Otto Rehhagel: Also die Haare würde ich mir nie im Leben färben.

Sie wirken so lebensfroh. Was bedeutet für Sie Lebensqualität?
Otto Rehhagel: Hier in Wien im Kaffehaus zu sitzen und dann am Abend in die Oper gehen zu können.

Dann ziehen Sie doch nach Wien. Hickersberger hört nach der Euro bekanntlich auf.
Otto Rehhagel: Ein schöner Gedanke. Nein, im Ernst. Was meine Zukunft betrifft, lasse ich alles auf mich zukommen. Aber dass ich Wien liebe, daraus mache ich kein Hehl. Aber ich mag auch Rom, Paris oder London sehr.

Haben Sie ein Lebensmotto?
Otto Rehhagel: Nein, nicht direkt. Aber einen Grundsatz.

Der da lautet?
Otto Rehhagel: Leute, macht euch nur keinen Stress. Wir sind nur zu Gast auf der Erde, das sollten wir in aller Ruhe genießen. Und lasst uns miteinander reden.

Zum Beispiel über Fußball. Sie plädieren ja dafür, die Linie des 16-ers bis zur Seitenoutlinie zu ziehen und Abseits soll es nur in diesem erweiterten Strafraum geben. Ähnlich wie im Eishockey.
Otto Rehhagel: Das war mal eine Idee von mir, aber inzwischen ist mir etwas anderes viel wichtiger. Nämlich, dass die Gewalt auf dem Rasen zurückgeht. Wie da mit Ellbogen agiert wird, mit versteckten, zum Teil sehr bösen Fouls, das tut mir weh. Man darf eines nicht vergessen: Auch wenn es um sehr viel geht, letzten Endes ist Fußball immer noch ein Spiel. Nicht mehr.

Ist der Triumph mit Griechenland 2008 zu wiederholen?
Otto Rehhagel: Sachte, sachte. Erstmal müssen wir uns qualifizieren. Auch wenn es gut aussieht.

Wie ehrgeizig sind Sie denn?
Otto Rehhagel: Sehr. Und ich wusste immer schon, was zu tun ist, um erfolgreich zu sein. Als ich beispielsweise meine Frau Beate, mit der ich nun seit Dezember 1963 verheiratet bin und die der größte Wurf meines Lebens ist, kennengelernt habe, lernte ich eine andere Welt kennen. Ich kam aus armen Verhältnissen, sie aus besseren Kreisen. Aber wenn dann am Abend die großen Feste waren, bin ich nach Hause ins Bett, weil am nächsten Tag am Vormittag Training war.