So sehr Strahlemann kann nicht einmal ein Toni Polster sein, dass es nicht auch in seinem Leben Schattenseiten gäbe. In diesem Herbst, im Herbst 2006, prozessierte Toni Polster ein zweites Mal gegen die Wiener Austria, gegen seine Wiener Austria. Oder besser: Gegen seine ehemalige Wiener Austria.

Schlagen wir dieses Buch also auf, um sogleich einen Schlussstrich zu ziehen. Einen Schlussstrich unter jenes Kapitel, das in Polsters violetter Seele brennt wie das sprichwörtliche Salz auf offenen Wunden, das ihn gleichermaßen kränkt wie nachdenklich stimmt, das ihm aber auch deutliche und überaus kritische Worte über den Zustand dieses Traditionsvereines entlockt.

Winter 2004: Toni Polster kehrt Borussia Mönchengladbach, wo er im Marketing tätig ist und gerade erst einen neuen Dreijahres- Vertrag unterzeichnet hat, vorzeitig den Rücken und als Generalmanager zu seinem Stammverein zurück. Der Vertrag in Favoriten, dem Heimatbezirk des Klubs, läuft bis Ende Juni 2007.

Vielleicht hätte Polster auf Toni Pfeffer hören sollen, denn der ehemalige Teamkollege und nach der aktiven Karriere auch für kurze Zeit Trainer der Violetten, riet seinem Freund ab. "Mach das nicht. Du bist ein viel zu g'rader Typ, um in dieser Schlangengrube überleben zu können. Der Klub ist unberechenbar, instabil, und in Wahrheit haben die negativen Einflüsterer das Sagen." Polster schlug die Warnungen in den Wind.

Frühjahr 2005: Trotz Erreichens des UEFA-Cup-Viertelfinales kommt es zum Zerwürfnis mit Frank Stronach, dem austrokanadischen Klubchef und Geldgeber. Ende Mai wird Polster fristlos entlassen. "Ein Keulenschlag, zumal sämtliche Anschuldigungen gegen mich völlig aus der Luft gegriffen waren. So hätte ich beispielsweise trotz eines angeblichen Interviewverbots die Medien von der Trennung von Sportdirektor Günther Kronsteiner informiert. Es gab aber kein Interviewverbot." Das Gericht gibt Polster, der auf rund 500.000 Euro Verdienstentgang klagt, im April 2006 in erster Instanz recht. Zu diesem Zeitpunkt ist über den ehemaligen Torjäger der "Veilchen" überdies ein "Hausverbot" verhängt. Toni, eine Persona non grata auf dem Horrplatz, seiner einstigen Spielwiese.

"Ich möchte mich an dieser Stelle nicht darüber beklagen, wie dieser Verein, der mir in früheren Jahren so viel gegeben hat, am Ende mit mir umgegangen ist. Ich möchte auch den Prozess nicht kommentieren. Ich möchte vielmehr meine Gedanken rauslassen, die mich beschleichen, wenn ich jetzt, im Sommer 2006, eine Momentaufnahme mache. Für mich ist es unmöglich, dass ein Mäzen, der über seine Sponsortätigkeit einen Mehrwert für seine Firma lukrieren möchte, einen Verein auch gleich zur Gänze übernimmt. Der mit seinen Millionen alles kauft, auch die ideellen Werte, die Seele, die Leidenschaft, die Tradition und der dann alles mit Füßen tritt. Das gibt es nur in Österreich, und da kommt mir – pardon – das Kotzen. Ich habe zudem schon im Jänner 2006 gewarnt: Wenn sich Stronach im Sommer 2007 tatsächlich zurückzieht, dann ist die Austria, sofern sie sich nicht sofort neu positioniert, tot. Hat sie das getan? Hat sie sich inzwischen neu positioniert? Nein. Es ist ein absolutes Unding, dass der Mann, der voraussichtlich in einem Jahr aufhört, immer noch und bis zum Ende das Sagen hat. Ist Stronach erst einmal weg, wird man nicht in ein paar Wochen einen Hauptsponsor finden. Ich sag’s ganz offen: Ich fürchte um die Austria."

Im August hieß es plötzlich, Stronach würde als Geldgeber bleiben, wenn man diverse "Vorgaben" wie den Bau eines neuen Stadions erfüllen würde. "Das zeigt doch auch nur, wie man diesem Herrn ausgeliefert ist. Ein Armutszeugnis."

Hilfeschrei. Und wenn er nach der Ära Stronach plötzlich käme, der violette Hilfeschrei nach ihm, nach der Austria-Legende, die als Führungskraft in Gladbach fast vier Jahre aufgebaut wurde? Polster winkt ab. "Österreich kommt für mich nicht mehr in Frage. Hier regiert der Dilettantismus, hier machen sogar die Hauptdarsteller und Verantwortlichen den Fußball schlecht und vergraulen die Sponsoren. Nein. Ich möchte nicht als Kapitän untergehen. Nie wieder Österreich, nie wieder Austria." Nie wieder Fußball? "Nie wieder Fußball!" Kein versöhnlicher Nachsatz? "Nie wieder Fußball bis auf Widerruf."

Wir schreiben zu diesem Zeitpunkt den 1. Juli 2006. Und der kleine Badeteich nahe Köln, in den wir während der ersten gemeinsamen Sitzung für dieses Buch immer wieder eintauchen, kühlt Polsters erhitztes Gemüt nur bedingt …