Es wird ein Finale um den Gruppensieg - und das ist in diesem Fall nicht unbedeutend. Zumindest die Chilenen sind nicht unbedingt heiß darauf, eventuell schon im Achtelfinale auf den WM-Gastgeber zu treffen. Auf Brasilien, das den Heimvorteil zum Gewinn des sechsten WM-Titels nutzen will. Obendrein Rekordchampion und Gewinner des Confed-Cups im Vorjahr. Zweimal schon sind die Chilenen an den Brasilianern gescheitert - im Achtelfinale 1998 in Frankreich und 2010 in Südafrika. Eine heikle Sache also für die "Roja", die sich bislang so sensationell geschlagen hat, gegen Australien mit 3:1 gewonnen hat, dann mit Spanien den Titelverteidiger entthront hat.

Der Mann, der für den Erfolg der Chilenen verantwortlich zeichnet, ist Jorge Sampaoli. Er befindet sich nun in der Rolle des Zerrissenen. Mit allen Mitteln gegen die starken Niederländer auf Sieg spielen? Die stärkste Mannschaft aufbieten? Star Arturo Vidal beispielsweise ist mit einer gelben Karte bereits vorbelastet. Ihn zu schonen hätte etwas an sich. Denn der Mittelfeldmotor gilt auch als Heißsporn. Das war bereits bei Leverkusen so. Auf Vidal gegen Brasilien verzichten zu müssen, das können und wollen sich die chilenischen Fans gar nicht vorstellen. Der Juventus-Legionär, der sich Anfang Mai einer Knieoperation unterziehen musste, meint diplomatisch: "Ich will immer spielen. Aber wir werden sehen, was besser ist . . ." Garantie, dass Vidal das Spiel gegen die Niederlande ohne Verwarnung übersteht, die gibt es nämlich nicht.

Selbstmörderisch

Teamchef Jorge Sampaoli ist ein Besessener. Ende 2012 hat der Argentinier die Mannschaft übernommen, heute spielt sie so, wie er sich das vorstellt. Spaniens Teamchef Vicente del Bosque hat es einfach "selbstmörderisch" genannt. Und das kommt annähernd hin. Vidal erklärt das so: "Nur wenige Mannschaften können den Druck ausüben, den wir entfachen. Wir haben die Physis dazu, das zu tun." Fußball-Krieger, die niemals aufgeben. Oder so weit die Füße tragen. Spaniens Trainer hat sich jedenfalls geirrt. Er hat gedacht, das könne man unmöglich 90 Minuten lang durchhalten. Ein schwerwiegender Irrtum.

Sampaoli stammt aus der Provinz, aus Casilda. Er wollte Profi werden, bei den Newell's Old Boys erlitt er in Teenager-Jahren einen Schien- und Wadenbeinbruch - aus und vorbei. "Nie wieder Fußball", lautete die Konsequenz. Sampaoli verdiente sein Geld als Bankangestellter, er fungierte als Friedensrichter - bis ein gewisser Marcelo Bielsa sein Interesse weckte. Bielsa war Newell-Trainer, später wurde er argentinischer Teamchef. Er wurde zum großen Vorbild von Sampaoli.

Der chilenische Teamchef hat Studienreisen nach Spanien, Italien und den Niederlanden unternommen, er hatte wenig Geld, schlug sich dennoch durch. Von den Newell's-Amateuren schaffte er den Sprung nach Peru von dort nach Chile. Aber zunächst wurde der Argentinier nur verhöhnt. Als "Bielsa für Arme." Bis er mit Universidad de Chile die Copa Sudamericana gewann. Stolz ist er vor allem auf einen Erfolg - ein 4:0 bei Flamengo im Maracana-Stadion. Dort, wo sich bei dieser WM die Demütigung Spaniens zugetragen hat.

Das Maracana-Stadion hat eine gewisse magische Wirkung. Nicht nur auf die Chilenen. Ein ganz normaler Fußballtempel? Weit gefehlt. Ort des großen WM-Endspiels. Und Vidal hat angekündigt: "Wir kommen am 13. Juli wieder!"

Glaube und Stolz

Recht zuversichtlich präsentierten sich die Niederländer, die in Rio ihr Quartier haben, vor dem Abflug nach Sao Paulo. "Wir können mit jedem Team bei diesem Turnier mithalten", sagt Abwehrspieler Ron Vlaar. Nach den bisherigen Auftritten ist auch in der Heimat die Euphorie nach der kritisch beäugten Vorbereitung gestiegen. Hatten viele Niederländer ein klägliches Aus nach der Gruppenphase a la England befürchtet, wird der Elftal nun alles zugetraut. "Der Glaube an uns war vor der WM nicht da. Wir haben ihn den Leuten zurückgegeben", sagt Kapitän Robin van Persie. "Jetzt geht es darum, sie noch stolzer zu machen."

Den Niederländern genügt für den Gruppensieg gegen Chile ein Remis. Das ist das erklärte Ziel der Truppe von Teamchef Luis van Gaal. "Dann bekommst du in der Theorie im weiteren Turnierverlauf eine etwas günstigere Auslosung", meint Van Persie. Der dreifache Torschütze ist gegen Chile gesperrt, für den England-Legionär dürfte Memphis Depay oder Jeremain Lens ins Team rücken.

Für die nötigen Offensiv-Impulse soll vor allem Arjen Robben sorgen. Der Bayern-Offensiv-Star absolvierte seit dem 3:2 gegen Australien aber noch keine komplette Trainingseinheit. Um Kräfte zu schonen, wie es offiziell hieß. Kraft braucht man gegen Chile jedenfalls mehr als genug.