Vor der WM-Qualifikation war Island in der FIFA-Weltrangliste noch auf Platz 130 zu finden. Nun rangiert Island auf Platz 46 und spielt im Play-off gegen Kroatien um den WM-Einzug. Wie lässt sich diese Entwicklung des Nationalteams in den vergangenen Jahren erklären?
EINAR THOR SIGURDSSON: Man muss weiter zurückblicken, um die positive Entwicklung des isländischen Fußballs erklären zu können. Zwei Punkte waren ausschlaggebend: Es wurde viel investiert. Vor 10 bis 15 Jahren wurden in Island vier Fußball-Hallen mit Feldern in Originalgröße gebaut. Seither haben unsere jungen Spieler die Möglichkeit, unter guten Bedingungen das ganze Jahr trainieren zu können - egal, bei welchem Wetter. Ich denke, das hat dazu geführt, dass wir heute bessere Fußballer haben - auch technisch. Der zweite wichtige Punkt ist, dass die Trainer besser ausgebildet sind als früher. Alle Fußball-Trainer müssen in Island eine spezielle Ausbildung vorweisen - egal, ob sie Sechsjährige trainieren oder Halbrpofis. Das hat auch die Qualität der Spieler verbessert. Früher konnte jeder in Island Trainer sein.

Welchen Anteil hat Nationaltrainer Lars Lagerbäck, der 2012 das isländische Team übernommen hat und zuvor jahrelang als schwedischer Teamchef tätig war, an dem Erfolg?
SIGURDSSON: Lars ist extrem wichtig. Auch wenn wir ordentliche Spieler hatten in den vergangenen Jahren, haben es als Trainer nur wenige ins Ausland geschafft. Wir haben in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen damit gemacht, dass Profispieler von Amateurtrainern trainiert werden. Lars wurde und wird aufgrund seiner erfolgreichen Zeit in Schweden und seines Fußball-Wissens in Island sehr respektiert. Ihm wurde zugetraut, dass er mit den jungen Wilden, die sich 2011 für die U21-EM qualifiziert haben, den nächsten Schritt macht.

Glauben Sie, dass er seinen Vertrag, der Ende des Jahres ausläuft, verlängern wird?
SIGURDSSON: Ich denke, dass jeder in Island will, dass er bleibt. Und ich glaube auch, dass er bleiben und das Team weiter formen will. Aber das wird von den Verhandlungen mit dem Verband abhängen.

Wer ist in Ihren Augen die wichtigste Säule im Team?
SIGURDSSON: Ich würde sagen: Gylfi Sigurdsson, der bei Tottenham spielt. Er hat sich gesteigert, als es kritische Phasen gab. Er arbeitet hart, er hat eine gute Passquote, er lenkt das Mittelfeld wie ein General und schießt außerdem viele Tore. Er und Eidur Gudjohnsen (Anm. d. Red.: langjähriger Kapitän und Stürmer bei Brügge) harmonieren gut miteinander. Noch ein wichtiger Spieler ist Kolbeinn Sightorsson (Anm. d. Red.: Stürmer bei Ajax Amsterdam). Er ist unser bester Stürmer und ein ständiger Brandherd in der gegnerischen Verteidigung.

Wie hoch schätzen Sie die Chance ein, dass Island gegen Kroatien tatsächlich das Wunder schafft und sich erstmals für eine WM qualifiziert?
SIGURDSSON: Die meisten Isländer wissen, dass die Chancen gegen Kroatien gering sind und erwarten sich die Qualifikation nicht. Aber wir wissen, dass wir gute Chancen haben, wenn wir gut spielen und auch nicht bei ein oder zwei Toren Rückstand aufgeben werden. Ich würde sagen, die Chancen stehen 65 zu 35 Prozent für Kroatien. Die Kroaten können es sich nicht leisten, das isländische Team zu unterschätzen - aber wir hoffen es.

Eigentlich ist Handball die Sportart Nummer eins in Island. Aber wie groß ist die Euphorie für den Fußball derzeit?
SIGURDSSON: Die Leute sind extrem enthusiastisch. Auch Menschen, die der Fußball normalerweise nicht interessiert, zittern den Relegationsspielen entgegen. Wir haben zwar nur 320.000 Einwohner, aber wir hätten leicht 30.000 bis 35.000 Karten (Anm. d. Red.: 10.000 Tickets wurden aufgelegt) für das Heimspiel gegen Kroatien verkaufen können.

Welche Rolle wird Island mittel- bis langfristig im europäischen Fußball spielen?
SIGURDSSON: Island wird auch weiterhin gute Fußballer produzieren und daher einer rosigen Zukunft entgegenblicken. Wir haben ein gutes U21-Team, das sich derzeit in der EM-Quali mit Frankreich einen harten Kampf um den Gruppensieg liefert. Island wird sich eines Tages für ein großes Turnier qualifizieren. Egal, ob das in den nächsten zwölf Monaten, zwei Jahren oder fünf Jahren soweit sein wird. Und Island wird wahrscheinlich nie eine der größten Fußball-Nationen in Europa sein, aber wir können es schaffen, dass wir in Reichweite sein werden.