Sie müssen über Nacht gekommen sein. Hatte man Deutschland-Fans am Mittwoch in Warschau noch mit der Lupe suchen müssen, ist die Stadt am Nachmittag des Halbfinales gegen Italien voll von ihnen. 25.000 sollen es sein, und diese Schätzung scheint alles andere als übertrieben. Sie haben alle Schanigärten der Stadt in Beschlag genommen.

Egal, ob an der künstlichen Palme am Charles-de-Gaulles-Kreisverkehr, im benachbarten Kneipenviertel rund um die Nowy Swiat oder in der Altstadt - überall schwarz-weiße oder grüne Trikots. Auch in der Fanzone am Kulturpalast, wo sie anstatt Fußball Woody Allens "Midnight in Paris" auf den riesigen Leinwänden spielen. Das Azurblau der Italiener bleibt die Ausnahme. Für fünf Minuten nehmen sie aber den Turm neben dem Schloss in Beschlag und schwenken eine riesige italienische Flagge.

Die Atmosphäre ist trotz des Fan-Auflaufs sehr entspannt. Keine Spur von Ausschreitungen, wie sie Warschau anlässlich des Vorrundenspiels zwischen Polen und Russland schon erlebt hatte. Die einzigen Schläge, die ausgeteilt werden, kommen von einem Straßenmusikanten, der den vielen Plastikkübeln und Töpfen vor sich einen erstaunlichen Freejazz-Rhythmus entlockt und so die Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Ein paar Ecken weiter wartet der Busfahrer geduldig, bis die "Schland"-Fans ihre "Arrividerci Italia"-Gesänge beendet und sich wieder auf den Gehsteig zurückgezogen haben. An der Haltestelle gegenüber mustern die Warschauer Omas amüsiert die schwarz-rot-goldene Partyfraktion. Vereinzelt sind zwar ungemütliche Zeitgenossen zu sehen: Ein paar steroidabhängige Hooligans von Union Berlin und ein rechter Narr, der wohl nicht zufällig die Rückennummer "88" trägt.

In Summe machen die Fans des deutschen Teams aber wie schon bei ihren Auftritten in der Ukraine und Danzig ein sehr freundliches Bild. Und auch die Alkoholleichen halten sich zumindest am Nachmittag noch in überschaubaren Grenzen.

Auf der Warschauer Poniatowski-Brücke vor dem Nationalstadion treffe ich dann plötzlich Ex-Kapfenberg-Trainer und U21-Teamchef Werner Gregoritsch. Er kommt direkt aus Donezk und wir plaudern über die Neutralisierungsschlacht auf hohem Langeweile-Niveau zwischen Spaniern und Portugiesen.

Er sei aber überrascht, wie schön sich die polnische Hauptstadt herausgeputzt habe, meint "Gregerl". Ein Eindruck, mit dem er wohl ziemlich sicher nicht allein ist. Aber immerhin gibt es ja das letzte Fußball-Fest dieser EM auf polnischem Boden. Das Finale wird ja in Kiew in der Ukraine ausgetragen.