Vieles läuft falsch im Internet. Facebook zensiert Nippel, aber keine Hasspostings, Coronaleugner*innen und Rechtsextreme rufen nicht nur zu Demonstrationen, sondern auch zur Gewalt auf, Frauen werden sexistisch, Minderheiten rassistisch beschimpft…
Vieles am Internet ist aber auch gut, Demokratiebewegungen nutzen es, Spendenaktionen werden gestartet und erfolgreich durchgeführt und oftmals entpuppt es sich schlicht und ergreifend als Quell heller Freude. Manche mögen da an Katzenvideos denken, ich beispielsweise an das Interview Greg Holsts auf Youtube („sie haben fucking nur gejammert“) oder an den 7.3.2021, als ich, mangels der Möglichkeit mir die TV-Übertragung anzusehen, via Liveticker miterleben konnte, wie der VSV einen 4:1-Rückstand in ein 5:5 und schließlich einen Sieg im Penalty-Schießen umwandelte, und sich damit den letzten Play-off-Platz sicherte.
Ja, ich gestehe es gleich, verzeiht liebe Fans der Rot-Weißen, ich bin VSV-Fan, bin Fan seit mich mein Opa erstmals in die Halle mitgenommen hat, bin einer jener VSV-Fans, der immer noch den von Oma gestrickten blau-weißen Schal (das blau nicht ganz das der Adler) zu Hause hat. Was für den KAC Heidi Horten bin ich für den VSV, ja, ich bin der Heidi Horten Villachs, nur ohne Geld, aber das ist hier nicht Thema. Thema ist vielmehr die Faszination am Kärntner Eishockeyderby.
Denn manchmal bildet das Internet einfach nur ab, was die Menschen bewegt, was sie fühlen. Und so kam es, rund eine halbe Stunde, nachdem Ali Schmidt den letzten Penalty gehalten hatte, im Forum einer bekannten österreichischen Tageszeitung (die nicht die bekannte österreichische Tageszeitung ist, für die ich diesen Essay schreiben darf) zu – Sie mögen mir die leichte literarische Übertreibung verzeihen – schier unbeschreiblichen Jubelszenen.
Weniger der Play-off-Einzug des VSVs löste diese aus als vielmehr die Tatsache, dass sich der Tabellenführer Bozen anstatt der Villacher Bratislava als Viertelfinalgegner ausgesucht hatte. 677 km Anfahrt statt 254 km, zwei Landesgrenzen in Pandemiezeiten statt einer, den Siebten der Liga statt den Achten. Warum? Egal. Denn das Forum wusste: Bozen-Bratislava bedeutete nicht nur eine Alliteration, bedeutete vielmehr, dass der KAC als nächstes den VSV picken würde, bedeutete also eines: Derby-Time.
Mehr noch: Play-off-Derby-Time. Und so lagen sich in den virtuellen Armen, die in Wien lebende Klagenfurter KAC-Anhängerin mit Salzburg-Affinität, der Salzburg-Fan mit dem vom einzig österreichischen NHL-Torhüter geborgten Nickname, der Hardcore-Caps- und der Hardcore-Villach-Fan…
Noch mehr: Das erste Mal Derby im Play-off seit 2011, seit einer gefühlten Ewigkeit, ewig, wie das älteste Eishockeyderby Österreichs. Schon 1929, so weiß es das Internet, und da dies keine Dissertation ist, erlaube ich mir es zu zitieren, bezwang der VSV den KAC – wobei anzumerken ist, dass die Klagenfurter ohne Hockeyschuhe und Schützer aufs Eis liefen. Das erste offizielle Derby gewannen dann am 4. 1. 1950 die Klagenfurter, seitdem siegte, das Freitagsmatch selbstverständlich mit einberechnet, der KAC 174, der VSV 141 Mal, 19 Mal trennte man sich unentschieden.
2377 Tore wurden seitdem erzielt und Legenden geboren, die weit über die Grenzen Eishockey-Kärntens hinaus bekannt sind: Edi Lebler mit seinen insgesamt 69 Toren für den KAC und den VSV beispielsweise, Gus Morschauser mit seinem Empty-Net-Goal (ich war dabei!) oder David Schuller mit seinem (leider geilen) meisterschaftsentscheidenden OT-Treffer im Finale 2004 (ich hab’s verdrängt!).
Derby-Time das bedeutet, egal in welchem Sport, einfach ein bisschen mehr: Ein bisschen mehr Emotion, ein bisschen mehr Leidenschaft, ein bisschen mehr Freude bei Siegen, ein bisschen mehr Frust bei Niederlagen, ein bisschen heftigere Diskussionen mit den Schiedsrichtern, bedeutet beim Eishockey ein bisschen härtere Checks, ein bisschen leichter fallende Handschuhe, ein bisschen mehr Strafen, bedeutet bei den Fans ein bisschen mehr ‚Pausentee‘, ein bisschen mehr Stimmverlust, ein bisschen mehr Kreativität bei den Gesängen.
Im Gegensatz zu so mancher Fußballrivalität bleibt es aber glücklicherweise bei verbalen Scharmützeln, denn man weiß: Was wäre das Eishockey in Österreich ohne das ewige Duell der Neblinger gegen die Schlümpfe, was wäre das Villacher Eishockey ohne das der Klagenfurter, was das Klagenfurter ohne das der Villacher? In diesem Sinne: Möge der Bessere diese Serie gewinnen. Und möge dieser Bessere der VSV sein. Denn in Blau ist der Pyramidenkogel gleich noch einmal so schön.
Peter Clar