In der letzten Minute auf dem Ergometer, sagt Michael Schiechl, „da zerreißt es dir fast den Oberschenkel“. Bis zur völligen Verausgabung trat der Stürmer der 99ers in die Pedale. Jede Minute erhöhte das Gerät den Widerstand um 20 Watt – bis nichts mehr ging, schnaufte er durch die Maske. Und nicht nur er. Denn der Schweiß floss an diesem Tag in Strömen. Die ersten Cracks der Grazer waren angetreten, um Zeugnis über ihren körperlichen Zustand abzulegen. Mit stoischer Ruhe und Latexhandschuhen überwachte Stefan Rinnerhofer dabei die Werte auf dem Monitor. Jede Minute nahm er einen Tropfen Blut aus dem Ohr der Probanden, notfalls stach er nach. „Wir messen unter anderem das Lactat, um die Schwellen und Trainingsbereiche der Sportler zu eruieren“, erklärt der Sportwissenschafter. Die Spiroergometrie, bei der die Ausdauerleistungsfähigkeit der Spieler ermittelt wird, ist nur ein Test unter vielen, die in den modernen Räumlichkeiten der Uni Graz am Rosenhain durchgeführt wurden.

„Wir wollen den Status quo, das allgemeine Fitnesslevel unserer Spieler ermitteln“, sagt 99ers-Sportdirektor Philipp Pinter, „um mithilfe der Ergebnisse die individuelle Trainingssteuerung zu erstellen“. Die altgedienten und neuen Cracks der Grazer müssen durch die Testreihe, die auch ein Functional Movement Screening (Beweglichkeit), Sprungtests und einen Krafttest umfasst. Einen Haudegen wie Schiechl locken diese Tests nicht mehr aus der emotionalen Reserve, andere sind wesentlich wortkarger. „Die Tests sind wichtig, dass der Verein auch weiß, ob wir im Sommer auch brav waren“, sagt Schiechl mit einem Lachen, während Keeper Nico Wieser auf dem Ergometer schnauft. Der 35-Jährige hat sich selbst mit Radfahren, Laufen, Krafteinheiten und vor allem dem Nachwuchs fit gehalten.

Michael Schiechl beim Sprungtest auf den Druckplatten
Michael Schiechl beim Sprungtest auf den Druckplatten © Michl

Aus den gewonnenen Daten dieser Tage zieht das Betreuerteam rund um Neo-Trainer Harald Lange seine Lehren, plant und steuert die Belastungen vor und während der Saison. „Die Spieler brauchen eine gute Basis, denn bei dem intensiven Spielstil von Harry müssen sie marschieren können“, sagt Pinter. 

Erstmals führen die Grazer mit der Sportunion die Testungen in den Räumlichkeiten der Universität Graz durch. „Im Spitzensport wird es immer knapper und es kommt auf Kleinigkeiten an“, sagt Professor Markus Tilp, „da können objektive Daten sehr hilfreich sein“. 2023 wurde das Gebäude eröffnet und hat die Ausbildung in Graz wieder auf den neuesten Stand gehoben. Auch wenn das universitäre Hauptaugenmerk freilich auf der Forschung und Lehre liegt, sieht Tilp viel Potenzial in Kooperationen, um den Studierenden zur Theorie ein zusätzliches Reservoir an Praxisübungen zu bieten. „Das Umfeld hier ist optimal“, sagt Rinnerhofer, „und neue Kooperationen können dem gesamten Spitzensport in der Steiermark helfen.“

Sam Antonitsch beim Umsetzen der Langhantel
Sam Antonitsch beim Umsetzen der Langhantel © Michl

Neben den Labors für Biomechanik und Sportphysiologie gibt es noch zwei Krafträume und in einem davon müssen Lukas Haudum und Co Gewichte stemmen. Neben den Kollegen wacht vor allem Trainer Martin Appel mit Argusaugen über die Durchführung von Kniebeuge, Bankdrücken, Klimmzügen und Umsetzen der Langhantel. „Die Maximalkraft ist durchaus wichtig für die Trainingsplanung. Es geht aber nicht rein um das Ergebnis, sondern auch um die Abläufe. Wie bewegt sich der Athlet? Das ist ein wichtiger Teil des Gesamtbildes.“ Das fügt der 99ers-Trainer für Kraft und Ausdauer mit Rinnerhofers Erkenntnissen in der Nachbetrachtung zusammen und interpretiert diese dann. Die beiden Wissenschafter werden die Grazer auch während der Saison begleiten, Appel das Off-Ice-Training leiten. Ein zentraler Punkt ist da auch die aktive Regeneration und auch dafür lassen sich die passenden Trainingsbereiche ablesen.

Nach den Österreichern werden heute und in den kommenden Tagen auch die Legionäre getestet. Dass er einen Spieler nach Hause schicken muss, damit rechnet der Sportdirektor aber absolut nicht und er sagt mit einem selbstsicheren Lächeln: „Wenn wir einen nach Hause schicken müssen, hätten wir unseren Job im Vorfeld nicht gut gemacht.“ Los geht es auf dem Eis bei den Grazern am 5. August mit einem öffentlichen Training in der Merkur Eishalle (18 Uhr).

Martin Sendlhofer, Herwig Reupichler, Gerhard Tschackert, Martin Appel, Markus Tilp und Stefan Rinnerhofer (von links) fühlten den Grazern auf den Zahn
Martin Sendlhofer, Herwig Reupichler, Gerhard Tschackert, Martin Appel, Markus Tilp und Stefan Rinnerhofer (von links) fühlten den Grazern auf den Zahn © Michl