Ihre Eltern stammen aus der CSSR. Sie selbst sind in Österreich geboren und leben seit vielen Jahren mit Ihrer Familie in Amerika. Wo ist Ihre Heimat?

THOMAS VANEK: Meine Heimat ist Österreich. Wenn ich "zu Hause" sage, dann ist das Graz für mich. Auch wenn ich schon mehr als die Hälfte meines Lebens in Amerika verbracht habe, auch wenn meine Frau Amerikanerin ist und unsere drei Kinder in Buffalo geboren sind: Ich werde immer Österreicher bleiben.

Was schwingt mit, wenn Sie "Heimat" sagen?

VANEK: Ein Lebensgefühl, das man hat, wenn man sich mit Freunden in der Stadt auf einer kleinen Piazza zu einem Kaffee trifft. Klar, auch in Amerika kann man spazieren gehen und mit dem Becher in der Hand Kaffee trinken, aber es verbindet sich damit kein Lebensgefühl. In Amerika ist alles groß.

Ist es die Vertrautheit, die den Unterschied macht?

VANEK: Ja, die Herkunft, das Familiäre. Auch die Tradition und das Kulturelle schwingen mit. Wenn ich für ein paar Tage heimkehre, fallen mir zum Beispiel die Ziegelsteine auf, aus denen die alten Häuser sind. Die atmen Geschichte. Auch das ist Daheimsein.

Verblasst das Gefühl, die Intensität, wenn man so lange nicht mehr hier lebt?

VANEK: Nein. Ich kann das ganze Jahr drüben sein; sobald ich hier lande, ist das Lebensgefühl wieder da. Das verliert man nicht.

Spüren Sie einen Verlust der Sprache?

VANEK: Ja, gegen den Verlust kämpfe ich an. Wenn ich einen Anruf aus Österreich erhalte, tu ich mir schwer, in die deutsche Sprache zurückzufinden. Mit meinem fünfjährigen Sohn rede ich Deutsch, damit die Sprache gegenwärtig bleibt, und weil ich ihm etwas von meiner Identität weitergeben möchte. Aber das hilft nicht. Mein Sohn antwortet nämlich stur auf Englisch. Vielleicht bessere ich ihn auch zu oft aus, das sollte ich nicht tun. Vermutlich geht es ihm, wie es mir damals ergangen ist. Meine Eltern haben zu Hause Tschechisch mit mir gesprochen. Das hat mich wahnsinnig gestört. Trotzig habe ich auf Deutsch geantwortet. Heute bin ich dankbar dafür. Bei den Buffalo Sabres spiele ich mit Tschechen und Slowaken und kann ihnen in ihrer Sprache auf dem Eis etwas zurufen. Das ist schön.

Was sind Ihre frühesten Erinnerungen an Österreich?

VANEK: Meine ersten Jahre habe ich in der Nähe von Traiskirchen verbracht. Da habe ich keine Erinnerungen. Meine frühesten Erinnerungen sind mit Zell am See verknüpft. Ich erinnere mich an das Aufwachsen zwischen den Bergen. Als ich vor zwei Jahren das erste Mal seit Langem wieder zurückkehrte, ist mir das Herz aufgegangen. Da waren alle Erinnerungen wieder da: an das Eislaufen des Vierjährigen mit dem Papa auf dem Zeller See. Ans Skifahren auf der Schmittenhöhe. Oder an den Kulturschock, als wir von Zell am See nach Graz übersiedelten.

War Ihnen die Stadt zu groß?

VANEK: Viel zu groß. Meine erste Stadt. Die mediterrane Innenstadt oder diese Rundum-Aussicht hier auf dem Schloßberg, das ist unglaublich, da können Boston und New York noch so spektakulär sein. Als meine Frau Ashley und ich geheiratet haben, haben wir die Flitterwochen nicht auf Hawaii verbracht, sondern in Liebenau, wo meine Eltern leben. Ich wollte Ashley zeigen, wo ich zu Hause bin und wo ich mich nach der Hauptschule herumtrieb. Ihre Verwandten mussten mit. Voll Stolz zeigte ich ihnen die Stadt meiner Kindheit.

Die Hochzeitstafel in Buffalo zierten Mozartkugeln.

VANEK: Ja, neben jedem Teller. Mein Manager Herwig Straka hat die Schachteln durch den Zoll geschmuggelt. Es gibt leider keine Mozartkugeln in Amerika. Es musste was aus Österreich auf den Tisch.

Sie sind Kind einer Flüchtlingsfamilie, die aus der kommunistischen CSSR geflohen ist. Wann erfuhren Sie davon?

VANEK: Erst mit 15 oder 16. Meine Eltern hatten die Flucht mit niemandem besprochen. Sommer 1982. Sie sagten, sie würden für kurze Zeit ins kommunistische Jugoslawien auf Urlaub fahren. Von dort versuchten sie, mit meinem älteren Bruder über die österreichische Grenze zu gelangen. Alles, was sie besaßen, war ein provisorischer Pass, gültig nur für Ungarn und Jugoslawien. Sie versuchten es über den Wurzenpass, auf einem Schotterweg. Meine Mutter musste sich vorne auf die Motorhaube setzen, weil das Auto zu leicht war. Sie hielt sich an den Scheibenwischern fest. "Was ist das?", sagte der Zöllner zu meinem Vater, als er die Pässe sah. Er warf sie ins Auto und fauchte auf Russisch: Fahr!

Was haben Sie empfunden, als Sie die Geschichte hörten?

VANEK: Dankbarkeit. Meine Eltern haben meinem Bruder und mir ein Leben in Freiheit ermöglicht. Vor einigen Jahren habe ich ihnen von meinem Geld in Liebenau ein Haus mit einem kleinen Pool bauen lassen. Davon hatten sie immer geträumt. Sie lebten immer nur in düsteren Hochhäusern, schon in der CSSR. Es ist ein schönes Gefühl, dass ich ihnen etwas zurückgeben konnte.

Dabei sind Sie Zufalls-Österreicher. Ihre Familie wollte ja nach Amerika weiterreisen.

VANEK: Richtig. Mein Vater hat selbst Eishockey gespielt, sein Traum war es, in die National Hockey League, die NHL, zu kommen. Am Tag des Fluges hat die Mutter kalte Füße bekommen, sie wollte nicht so weit weg von ihren böhmischen Eltern sein. Mein Vater hat zugestimmt und ist mit meiner Mutter dageblieben. So bin ich Österreicher geworden.

Sie haben mit 14 Österreich verlassen, um in Amerika Eishockey zu spielen. Muss man weg, wenn man gut werden will?

VANEK: Wenn man groß träumt, ja. Seit ich das erste Mal mit dem Stock auf dem Eis des Zeller Sees stand, war mein Traum die amerikanische NHL.

Sie haben also den Traum Ihres Vaters verwirklicht.

VANEK: Ja, so kann man das sagen. Den Augenblick, als ich mit 14 alleine in Graz-Thalerhof im Flugzeug saß und den Eltern auf dem Flughafen-Dach unter Tränen zuwinkte, werde ich nicht vergessen. Die ersten Monate drüben waren schlimm. Ich habe fast kein Englisch gesprochen. Unter den Mitschülern war ich ein Außenseiter. Sie machten sich deswegen lustig über mich. Erst, als sie gemerkt haben, dass ich gut Eishockey spielte, so gut, dass ich als 14-Jähriger mit 18-Jährigen in einer Mannschaft spielte, hat das Lachen plötzlich aufgehört. Das Eishockey war die Brücke zu Anerkennung und Integration.

Wo ist Ihnen Amerika fremd geblieben?

VANEK: Dass es keine Krankenversicherung gibt, ist irritierend. Aber das ist das Einzige. Ich mag die Offenheit. Die Menschen freuen sich mit einem, wenn man Erfolg hat. Es gibt kaum Missgunst. Die spüre ich hier schon immer wieder.

Sind Sie jetzt amerikanischer Staatsbürger?

VANEK: Nein, trotz der Heirat nicht. Die sind da eisern. Ich habe eine Green Card, die Arbeitsbewilligung. Der US-Verband bot mir an, sich dafür einzusetzen, schneller einen US-Pass zu bekommen - wenn ich für Amerika spiele. Auch Teamspieler haben angerufen, um mich dazu zu überreden. Es wäre reizvoll gewesen, weil die Chancen auf eine olympische Goldmedaille etwas größer sind als mit Österreich.

Was hielt Sie zurück?

VANEK: Die Verbundenheit mit daheim. Ich kenne die meisten US-Teamspieler. Ich hätte kein Problem gehabt, hart und leidenschaftlich zu spielen. Aber ich hätte mich nicht gut gefühlt. Ich spiele lieber für Österreich, auch wenn es nur die B-Liga ist; auch wenn ich weniger Mitspieler kenne als in Amerika. Es ist richtig so.

Hockeyspieler sind reaktionsschnell. Obama oder Romney?

VANEK: Romney. Obama hat viele Hoffnungen enttäuscht. Aber ich darf ja nicht wählen.

Tafelspitz oder Burger?

VANEK: Ich würde sagen: Burger als Vorspeise, Tafelspitz als Hauptspeise.