Letzte Nocht wor a schware Partie fia mi. Ich wachte auf und in der Dunkelheit raubten mir Visionen den Schlaf. Marko Arnautovic überlistete den türkischen Magier Mert Günok und traf. Dann stieg Christoph „der Begnadete“ Baumgartner hoch und köpfelte ein. Die Verlängerung nützte Österreich für den Einzug ins Viertelfinale und die damit verbundene Erweiterung des rot-weiß-roten Euro-Programms..

Erst am frühen Morgen erlangte ich wieder das Bewusstsein. Statt dem zur schönen Gewohnheit gewordenen Gang zum Training des ÖFB-Teams stand die Abreise auf dem Programm. Und kurz, aber wirklich nur für einen flüchtigen Moment, dachte ich daran, einen fliegenden Wechsel zu den Holländern (so nennen sie sich selbst) vorzunehmen. Tatsächlich hatte ich im ursprünglichen Reisegepäck eine in grellem Orange gehaltene Jacke im Reservoir, für den (bei dieser Euro gar nicht seltenen) Regenfall. In Düsseldorf war mir schlagartig klargeworden, dass ein solches Kleidungsstück für diese Veranstaltung gänzlich ungeeignet war. In Berlin hätten sie mich permanent als Oranje-Fan identifiziert. Also nahm meine Frau Britta, die für das Match gegen Frankreich ein Ticket ergattert hatte, den Fremdkörper mit nach Hause. Sie stieß übrigens als wahrer Fan zu Hause Verwandte, Freunde und Bekannte mit der Aussage „Hoffentlich kimmt er no long nit hoam“ einigermaßen vor den Kopf.

Ganz verloren

Demzufolge musste ich den Gedanken der Verwandlung aus praktischen Gründen gleich wieder verwerfen und die Umsetzung wäre ja ohnehin, fußballideologisch gesehen, einem Verrat gleichgekommen. Dafür ergründete ich die Ursache für das Ende der österreichischen Euro-Tour im Achtelfinale. Am Nachmittag vor dem Match begab ich mich neben zahlreichen österreichischen Fans in Leipzig ins bayrische Augustiner am Markt. Ein Wiener Schnitzel, oder wie Andi Herzog sagen würde, „a Breslfetzn“, so dachte ich, wäre doch die passende Panier, um für das Spiel gewappnet zu sein. Nach einer Stunde Wartezeit hatte der hinter mir sitzende Vorarlberger, dessen Bestellung gleichzeitig entgegengenommen worden war, analog zum Wiener Schweizerhaus vor einem Match im Happel-Stadion, eine ganze Stelze (hier hintere Haxe) verschlungen, er allein.  

Allein war ich, ohne mein Wiener Schnitzel. Es kam nie an. Ich unterzog mich einer Blitzselbstmitleidsentwöhnungstherapie und hielt wacker durch. Aber das Match war damit verloren, so wie ich während der ergebnislos verstrichenen Lokal-Spielzeit. Ich bin übrigens nicht abergläubisch, so wie Robert Menasse, der sich mit dem einschlägigen Hinweis ohne Umschweife einen Tag vor seinem 70er zum Geburtstag gratulieren hatte lassen. Am Tag danach standen mein treuer Euro-Wegbegleiter Peter Altmann und ich in der U-Bahn vor einem historischen Foto von John F. „Ich bin ein Berliner“ Kennedy. Wir wären gerne noch Berliner.

Ein Zeichen

PS: Auf dem Flughafen gab der Reißverschluss meines Euro-Rucksacks von der 2021 absolvierten 2020er-EM endgültig seinen Geist auf. Für dieses Turnier hatten wir keinen Träger unserer Arbeits-Last mehr bekommen. Die UEFA musste offensichtlich sparen. Ich entsorgte das Altgerät. Es war ein Zeichen für meine letzte Euro in offizieller Mission.