Wie dramatisch ist der heute so oft zitierte Fachkräftemangel in der steirischen Industrie?
Gernot Pagger: Der Mangel an Arbeits- und Fachkräften ist abseits der Frage nach der Verfügbarkeit von Energie sowie den Energiepreisen das Thema, an dem sich die Zukunft der Industrie in der Steiermark am stärksten entscheiden wird. 70 Prozent unserer Mitglieder haben uns rückgemeldet, dass die Verfügbarkeit von Personal die wesentlichste Zukunftsfrage für sie ist.

Welche Industriesparten leiden besonders darunter bzw. ­suchen am intensivsten nach ausgebildeten Mitarbeiter*innen?
Mittlerweile ist das Thema so groß, dass es alle Branchen und auch alle Unternehmensbereiche und Qualifikationslevel erreicht hat.

Sind Fachkräfte aller Art gesucht, oder liegt der Mangel bei speziellen Ausbildungen?
Naturwissenschaftlich bzw. technisch ausgebildete Menschen fehlen aktuell und auch auf Sicht hin am stärksten. Ausbildungen beispielsweise in den Bereichen IT, Elektronik, Elektro- oder auch in der Metalltechnik sind gefragt und werden das auch in Zukunft sein. Das gilt für die akademische Ebene ebenso wie für die Schule und auch für jene der dualen Berufsausbildung, also die Lehre.

Wie sind die regionalen Unterschiede ausgeprägt? In welchen Bezirken zwickt es am meisten?
Ich spreche mit Betrieben in Murau ebenso wie in Bad Radkersburg. Mit Unternehmen in Graz, wie jenen in Leoben. In allen Regionen gibt es eine große Bereitschaft, mehr Fachkräfte anzustellen – und auch selbst auszubilden. Auch die Statistiken des AMS zeigen, dass es in allen Regionen der Steiermark so viele offene Stellen gibt, wie schon lange nicht mehr.

Welche Auswirkungen hat der Mangel auf die Wirtschaftlichkeit oder Produktionsfähigkeit der Unternehmen?
Kurzfristig kommt es dazu, dass Aufträge nicht abgearbeitet werden können. Mittel- und langfristig werden Investitionen hinterfragt. Wo schon heute Arbeitsplätze nicht besetzt werden können, ­fehlen die Argumente zu investieren und neue Stellen zu schaffen. Damit ist das Thema auch von enormer Bedeutung für die weitere Entwicklung der Steiermark insgesamt. Wertschöpfung und Wohlstand hängen an dieser Frage.

Was wäre der Wunsch der ­Industrie, um hier gegensteuern zu können?
Ganz wichtig ist, dass es nicht eine, sondern eine Vielzahl von Maßnahmen braucht, die gut aufeinander abgestimmt sind. Es braucht also eine umfassende Fachkräftestrategie, die sich nicht auf eine reine Arbeitsmarktpolitik beschränken kann. Wir müssen unser Fachkräftepotenzial durch Bildungs- und Berufs-Orientierung sowie durch Qualifizierung verbessern. Dazu zählen unter anderem Maßnahmen zur Steigerung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und zur Verbesserung des Rahmens für die Beschäftigung Älterer. Auch durch den qualifizierten Zuzug muss es uns gelingen, das Fachkräfte­potenzial vergrößern. Das ist ein Kraftakt, den wir gemeinsam zu stemmen haben.

Wenn ein junger Mensch Sie fragt: Warum eine Ausbildung in der Industrie? Was sagen Sie ihm?
Neben unvergleichlichen Karriere­perspektiven, einer abwechslungsreichen Tätigkeit und einer sehr guten Bezahlung ist, wie ich glaube, ein Aspekt ganz besonders spannend: In der steirischen Industrie arbeiten viele Betriebe, die mit ihren Technologien wichtige Beiträge zur Rettung unseres Klimas und zur effizienten Nutzung von Energie leisten. Wer hier mitgestalten will und an der Lösung der wohl größten Aufgabe der kommenden Jahre mitarbeiten möchte, ist in der steirischen Industrie richtig.

Welche Auswirkungen hat die derzeitige weltpolitische Lage auf die steirischen Industrie­unternehmen?
Die Industrie hat eine Exportquote von 75 Prozent. Daher spüren wir globale Entwicklungen natürlich sehr stark. Im Guten, wie im Schlechten. Aktuell ist es vor allem die Frage möglicher Engpässe bei Energie, die uns beschäftigen. Andere Lieferketten sind ja bereits durch die Pandemie betroffen. Die Industrie hat aber viel Erfahrung damit, mit sich verändernden Rahmenbedingungen umzugehen.