Wie präsentiert sich der steirische Arbeitsmarkt im Mai 2022 generell?
Karl-Heinz Snobe: Trotz Pandemie, Ukraine-Krieg und Teuerung ist der steirische Arbeitsmarkt weiterhin erfreulich robust. Rund 35.000 Personen befinden sich zurzeit in Arbeitslosigkeit oder Schulung, das sind um 4500 oder elf Prozent weniger als im April 2019, also vor Corona. Diesen 35.000 Menschen stehen fast 19.000 sofort verfügbare, offene Stellen gegenüber. Mit 547.000 unselbständig Beschäftigten haben wir einen Rekordwert, d. h. es arbeiten so viele Menschen wie noch nie in der Steiermark.

Ein Blick in die steirischen Bezirke: Geben diese punkto Arbeitsmarkt ein eher homogenes Bild ab – oder dominieren große regionale Unterschiede?
Das massive, rasche Absinken der Arbeitslosigkeit in den vergangenen Monaten betraf alle Bezirke, wobei das Ausgangsniveau unterschiedlich war. Im Bezirk Murau oder in der Region Gleisdorf/Weiz sind wir mit Arbeitslosenquoten von rund drei Prozent deutlich unter der Vollbeschäftigungsmarke von vier Prozent, im Grazer Zentralraum wie im Arbeitsmarktbezirk Bruck liegen die Quoten noch bei über sechs Prozent. Insgesamt lag die Arbeitslosenquote in der Steiermark Anfang Mai bei 4,9 Prozent und damit bei einem Wert wie vor 40 Jahren.

Der Fachkräftemangel ist ein heißes Thema: Kann man schon von einem dramatischen Engpass sprechen? Und in welchen Branchen zwickt es am meisten?
In einzelnen Branchen ist die Situation tatsächlich sehr angespannt und es kommt dort zum Fachkräftemangel ein allgemeiner Arbeitskräftemangel hinzu. Besonders betroffen sind bestimmte handwerklich-technische Bereiche, etwa klassische Handwerksberufe wie Metallfachkräfte, Elektriker*­innen oder Dachdecker*innen, aber auch der gesamte IT-Bereich sowie der Pflegesektor und der Dauerbrenner Gastronomie und Beherbergung.

Kann es passieren, dass der Fachkräftemangel in Bälde einen spürbar negativen Einfluss auf die steirische Wirtschaftsleistung haben wird?
Er hat insofern schon jetzt einen negativen Einfluss, als dass mancherorts zusätzliche Aufträge nicht angenommen oder – wie etwa im Gastgewerbe – bestehende Angebote eingeschränkt werden. Mittelfristig werden die Player sich an den veränderten Arbeitsmarkt anpassen und Lösungen finden.

Gibt es eigentlich noch Branchen mit einem Überangebot an Personal – oder zieht sich der Mangel durch alle Bereiche?
Die Angebotsbeurteilung ist von der Definition der Nachfrage abhängig. Viele Branchen waren es gewohnt, ihren Personalbedarf sehr spezifisch zu formulieren, um eine Idealbesetzung zu erreichen. Wenn man lange genug suchte, gelang das auch meist. Heute zeigt die „Mangelberufsliste 2022“, dass es in 66 Berufen einen strukturellen Mangel gibt, in den anderen Berufen gibt es zumindest nominell noch mehr Angebot als Nachfrage.

Wie kann das AMS dieser Entwicklung gegensteuern?
Wir machen auf die fünf großen Hebel zur Linderung des Fachkräftemangels aufmerksam. Beim Hebel Nummer eins forcieren wir arbeitsplatznahe Ausbildungen für Arbeitsuchende: Dabei können Unternehmen ihre künftigen Fachkräfte selbst unter geeigneten, arbeitsuchenden Bewerber*-innen auswählen, die dann vornehmlich direkt im eigenen Betrieb ausgebildet werden. Das Ausbildungsprogramm wird gemeinsam mit AMS und Schulungsanbietern erstellt und richtet sich überwiegend nach den Anforderungen des künftigen Arbeitsplatzes. Gefördert wird dieses Ausbildungsmodell – beispielsweise Stiftungen im Pflege- oder Digitalisierungsbereich – von AMS und Land Steiermark. Die Übernahmequoten liegen bei mehr als 70 Prozent.

Welche vier anderen Hebel können wir noch umlegen?
Zusätzlich zu den gerade angesprochenen Qualifizierungen arbeitsuchender Personen sehen wir als weitere Hebel: Da wäre der Ausbau der Berufsorientierung an Schulen und anderen Organisationen wie dem AMS – und auch der Ausbau der betrieblichen Lehrausbildung Jugendlicher. Der nächste Hebel ist die Erhöhung des Beschäftigungspotenzials weiblicher Fachkräfte – so ist derzeit jede zweite berufstätige Frau in der Steiermark in Teilzeit tätig. Weiters brauchen wir eine längere Beschäftigung älterer Arbeit­nehmer­*innen und fünftens eine gezielte Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte in Kombination mit einer neuen Willkommenskultur. In allen diesen Bereichen kann das AMS einen Beitrag leisten, aber die Herausforderungen nicht alleine stemmen.

Wenn alles gut läuft – wann könnte sich die Situation wieder entspannen?
Der Fachkräftemangel wird bleiben, das zeigt die Demografie klar. Die Babyboomer kommen ins Pensionsalter und es rücken zu wenig jüngere Personen am Arbeitsmarkt nach. Dazu kommt, dass der heimische Arbeitsmarkt für süd- und osteuropäische Arbeitskräfte nicht mehr so attraktiv ist wie noch vor zehn Jahren.

Ganz aktuell: Neueste Warnungen sprechen von einer drohenden Rezession wegen des Ukraine-Kriegs. Wie wird der Arbeitsmarkt darauf reagieren?
Das lässt sich schwer beurteilen. Bis jetzt sind die Auswirkungen am Arbeitsmarkt etwa wegen der Lieferkettenproblematik oder der Teuerung noch nicht so dramatisch wie ursprünglich eingeschätzt. Der Rückgang an Arbeitslosigkeit wird sich aber einbremsen. Bei einem plötzlichen Gasembargo Russlands würde die Lage aber eskalieren.