Vor zwei Jahren, als Michael Ludwig noch intern um den Posten als Wiener Bürgermeister ritterte, fragten Journalisten gerne, welcher Flügel sich in der Wiener SPÖ durchsetzen würde. Der urbane, weltoffene, den die Innenstadtbezirke repräsentierten? Oder der pragmatische, kleinbürgerliche, für den die flächigen Außenbezirke standen? „Beide“, antworteten gewitzte Funktionäre damals gerne, „zum Fliegen braucht man ja zwei Flügel.“ Am Sonntag wurden beide gestutzt.

Für das rote Wien ist das Ergebnis der Nationalratswahl alarmierend. Zwar ist Wien das einzige Bundesland, in dem die SPÖ den ersten Platz halten konnte. Doch mit 27,3 Prozent und einem Minus von 7,2 Prozentpunkten fuhr sie das historisch schlechteste Ergebnis ein. Im sozialdemokratischen Kernland wählten nur um 21.700 Menschen mehr die SPÖ als die ÖVP. Bei der letzten Nationalratswahl 2017 war die Differenz fünf Mal so groß.

Von tiefrot zu rotgefleckt

Die Karte mit den Bezirks- und Sprengelergebnissen macht die großen Probleme der Wiener SPÖ auf einen Blick sichtbar: Das einst tiefrote Wien ist nach der Nationalratswahl eine rot gefleckte Stadt.
Der Richtungsstreit scheint seit der Entscheidung für Michael Ludwig als Parteiobmann zwar gelöst, doch seine Auswirkungen werden erst jetzt deutlich sichtbar. In allen Bezirken innerhalb des Gürtels, wo die SPÖ besonders links ist, haben die Grünen sie als stimmenstärkste Partei abgelöst. Und in den Flächenbezirken am Stadtrand, wo der „rechte“ Flügel der SPÖ beheimatet ist, sind nun große Sprengel oder ganze Bezirke erstmals türkis eingefärbt.

Auf Polarisierung gesetzt

Einer davon ist Liesing, der 23. Bezirk im Südwesten der Stadt. Im Heimatbezirk von Ex-Kanzler Werner Faymann mit 106.000 Einwohnern dominierte die SPÖ seit 1945. Jetzt ist Liesing türkis. Für den roten Bezirksvorsteher Gerald Bischof ist das bitter. „Wenn Politik vor allem auf Polarisierung setzt, macht es das schwierig für uns. Unsere Antworten sind manchmal zu lang und zu komplex“, sagt er. Dass die SPÖ gleichzeitig die Partei der Hackler und der urbanen Elite sein will, hält er aber für „zeitgemäßer denn je. Unsere Stadt, unsere Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn man Konsens findet zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen.“

Die Bobos und die SPÖ

Ähnlich sieht das sein Amtskollege Markus Rumelhart, Bezirksvorsteher im hippen Mariahilf. Im 6. Bezirk verlor die SPÖ 14 Prozentpunkte, die Grünen gewannen 24 dazu. Auch hier herrscht Betroffenheit über das rote Ergebnis, wenngleich Rumelhart meint: „In den Innenstadtbezirken sind die SPÖ und die Grünen eben kommunizierende Gefäße.“ Seine Partei müsse neben dem Sozialen und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt vermehrt den Klimaschutz thematisieren, sagt er. Und – auch unter seiner Wählerschaft – deutlicher auf die eigenen Leistungen hinweisen: „Die Bobos kommen schließlich auch alle aus einem System, das aus sozialdemokratischer Politik entstanden ist.“

Es wird ernst

Für Bürgermeister Michael Ludwig wird es nächsten Herbst ernst. Dann muss er sich das erste Mal als Bürgermeister zur Wahl stellen. Im Rathaus gibt man sich betont gelassen: Die Menschen wählen auf kommunaler Ebene anders als im Bund, heißt es dort. Die vielen leistbaren Wohnungen, der Gratis-Kindergarten und die hohe Lebensqualität würden auch vom Wahlvolk honoriert werden, hofft man. „Dass Wien jedes Jahr zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt wird, ist keine gottgegebene Selbstverständlichkeit“, sagt auch Bezirksvorsteher Bischof, „und es kann sich auch wieder ändern.“

Herausfordernd wird der Wien-Wahlkampf für die SPÖ auch aus einem anderen Grund. Mit dem Abgang von Heinz-Christian Strache aus der Politik und der schwächelnden FPÖ fällt ein Hauptgegner weg. Aber auch ein dankbarer Prellbock. Das heraufbeschworene Duell um Wien bescherte Michael Häupl 2015 knapp 40 Prozent. Sein Nachfolger Michael Ludwig wird andere Wege der Mobilisierung finden müssen.

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