Die Ergebnisse des gestrigen Abends bargen dann doch noch einige Überraschungen. In Hinblick auf die Koalitionen hat sich rein rechnerisch zwar nicht zu viel geändert, aber die Gemengelage hat sich – besonders durch die FPÖ – stark verändert. Der Koalitionsrechner stützt sich auf das vorläufige Endergebnis inklusive Briefwahl und wird laufend aktualisiert.

Im Kleine Zeitung-Wahlstudio in der Hofburg, wo Kurz am Wahlabend zu Gast war, hielt sich der triumphierende Sieger des Abends noch bedeckt.Auch wir verfallen jetzt, einen Tag nach der Wahl, der allgemeinen Koalitions-Spekulation. Rein rechnerisch wären folgende Koalitionen möglich:

  1. Eine Minderheitsregierung der ÖVP
  2. Türkis - Grün (-Pink)
  3. Eine Koalition von ÖVP und SPÖ
  4. Eine Neuauflage von türkis-blau

1. Allein, allein - So unwahrscheinlich ist eine Minderheitsregierung der ÖVP

Gegen Ende des Wahlkampf liebäugelte Kurz mit letzterer Variante: eine Minderheitsregierung der ÖVP. Dieser Wille zur Alleinregierung ohne Koalitionspartner lässt sich schon an seiner Rede ablesen, mit der er im Mai die türkis-blaue Koalition auflöste.

“Nur wenn die Volkspartei nach den Wahlen so stark ist, dass wir eindeutig den Ton angeben, kann unser Kurs der Veränderung konsequent fortgesetzt werden. Wenn Sie mit meinem Kurs zufrieden sind, wenn Sie diese Veränderung fortführen wollen, dann brauchen wir bei der nächsten Wahl klare Verhältnisse. Mit einem klaren Wahlauftrag. Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung!”, beendete er im Mai seine Rede.

Auch im Podcast mit Kleine Zeitung-Redakteurin Christina Traar bekräftigte er diese Position. Dort merkte er an, dass man in einer idealer Welt allein regiere. Das lässt wenig Raum für Interpretationen. Einen richtigen Wunschpartner hatte Kurz in diesem Wahlkampf wohl nicht und die Angst ist groß, dass sich keine Einigung mit einer anderen Partei finden lässt. Für eine absolute Mehrheit hat es trotz sehr guter Ergebnisse lange nicht gereicht. Sollte es also auf diese Option hinauslaufen, muss sich Kurz sich Mehrheiten für seine Anliegen suchen und wäre auf Unterstützung aus den verschiedenen Oppositionsparteien angewiesen. Stabilität und Klarheit sähen anders aus. 

2. Kommen ÖVP, Grüne (und NEOS) inhaltlich zusammen?

Die Kombination von türkis, grün (und pink) klingt nicht nur modisch nach einem Ensemble, das Kopfschmerzen bereitet. Auch inhaltlich könnte diese Kombination schwierig werden. Die Antworten aus der Wahlkabine zeigten schon vorab: ÖVP und Grüne haben wenig gemein, nur 19% Übereinkunft haben beide Parteien in ihren politischen Positionen.

Die kleine Überraschung des gestrigen Abends: Aufgrund des extrem starken Wahlergebnisses wäre diese Koalition jetzt nicht mehr auf die NEOS als dritten Partner angewiesen. Ob das die Verhandlungen erleichtert, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Besonders in Asyl - und Migrationsfragen könnten ÖVP und Grüne nicht weiter auseinander stehen und ob Kurz von seinem harten Kurs abrückt ist fraglich. Kogler sagte dazu im Kleine Zeitung-Wahlstudio:

Damit macht er ein klares Statement. Ungeachtet bestehender Widrigkeiten wird diese Koalition aktuell doch als die wahrscheinlichste aller Möglichkeiten gehandelt. 

Trotz weniger Gemeinsamkeiten hatte Grünen-Chef Kogler schon im Vorhinein anklingen lassen: Er schließt eine derartige (Dreier)-Koalition nicht kategorisch aus. Auch Meindl-Reisinger zeigte sich offen. Ihre Bedingung ist allerdings die Einführung strengerer Regeln für Parteienfinanzierung und Parteispenden. Aufgrund der geringen politischen Schnittmengen ist diese Kombination schwierig und auch bei Beliebtheitsumfragen unter den Wählern landet die Dreierkombination aus türkis, grün und pink nur auf dem 3. Platz.

3. Die unbeliebte “GROKO” 

Noch dahinter platziert ist die Koalition aus ÖVP und SPÖ. Rund 11% der Befragten gaben an, dass dieser Zusammenschluss ihre präferierte Lösung wäre. Ex-Kanzler Kurz hatte schon im Mai angedeutet: Diese Variante ist für ihn nicht wünschenswert. Damals sagte er, dass eine wiederholte Koalition mit der SPÖ inhaltlichen Fortschritt blockieren würde. “Die SPÖ unterstützt meinen Kurs inhaltlich nicht.” Und deswegen würde diese Option “wieder Stillstand” bedeuten, “wie wir es jahrelang in Österreich hatten.” 

4. Nochmal türkis-blau?

Eine Neuauflage der türkis-blauen Koalition wünschten sich trotz Ibiza-Skandal 27% der Befragten in einer Umfrage von Research Affairs. Auch inhaltlich stehen sich Kurz ÖVP und die FPÖ sehr, sehr nahe. Ihre Übereinstimmungen in der Wahlkabine belaufen sich auf 81%. 

“Die FPÖ schadet mit ihrem Verhalten unserem Weg der Veränderung. Es ist ein Schaden für das Ansehen unseres Landes [...]” sagte Kurz noch im Mai, lobte aber auch die produktive Zusammenarbeit. “Wir haben es geschafft, die Schuldenpolitik zu beenden, die Steuerlast für arbeitende Menschen deutlich zu senken und auch die illegale Migration nach Österreich massiv zu reduzieren.” 

“Für diese inhaltlichen Erfolge war ich bereit, viel auszuhalten, viel in Kauf zu nehmen”, sagte er. “Vom Rattengedicht über die Nähe zu radikalen Gruppierungen bis hin zu immer wieder auftauchenden Einzelfällen.” Die FPÖ wünschte sich im Wahlkampf offen die Fortsetzung der Koalition.

Rein auf der Inhaltsebene betrachtet, wäre diese Verbindung auf jeden Fall eine Liebesheirat. Seit gestern Abend gibt es nur einen einzigen winzigen Haken: Es scheint als stünde die FPÖ für Koalitionsgespräche nicht mehr zur Verfügung. Das Wahlergebnis sei keine Bestätigung der Türkis-Blauen Koalition, so Harald Vilimsky. Somit scheint der Weg in die Opposition fix.