Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert politischer Zusammenschlüsse. Die großen Imperien und Kolonialreiche wuchsen, der Fleckerlteppich der deutschen Kleinstaaten wurde im Deutschen Reich vereint, die italienische Einigung vollzogen. Es schien einen Zusammenhang zu geben zwischen der Größe und der Vereinheitlichung, auch der Sprache, und der Teilnahme am Modernisierungsprozess. Moderne Staaten suchten die einfache Kommunikation, um Verwaltung, Transport, Kommandosprache beim Heer und Information zu vereinfachen und zu beschleunigen.

Aber Europa und der Nahe Osten kannten auch andere Staaten: Das zaristische Russland, das sich über Teile Osteuropas erstreckte, hatte Schweden, Finnen, Esten, Letten, Litauer, Polen, Weißrussen, Ukrainer, Tataren und die kaukasischen Völker in seinen Reihen.

Dann gab es das Osmanische Reich, das ein fragiles Gebilde aus Türken, Armeniern, Kurden und den unterschiedlichsten arabischen Gruppierungen darstellte. In der Habsburgermonarchie schließlich zählte man 13 verschiedene "Ethnizitäten“, und Deutsch war nicht einmal in der österreichischen Reichshälfte die Mehrheitssprache.

Vielsprachigkeit, kulturelle und religiöse Vielfalt, das schienen Modernisierungshemmnisse zu sein. Russland galt als rückständig, das Osmanische Reich als sterbenskrank und die Habsburgermonarchie zumindest als seltsames, widersprüchliches politisches Konstrukt. Ohne Zweifel war die Vielfalt im Krieg eher hinderlich, wirkte aber doch schwächer, als es Freund und Feind vermutet hatten.

Die Teilungen

1914 grenzte Deutschland an Russland, Russland an die Habsburgermonarchie und das Osmanische Reich. Nur auf dem Balkan, der alten Militärgrenze zwischen den Habsburgern und dem Sultan, hatten Befreiungsbewegungen und Balkankriege schon Kleinstaaten entstehen lassen. Der Erste Weltkrieg sollte als Resultat ein viel kleinteiliger strukturiertes Europa haben, dazu eine neue arabische Staatenwelt, allenthalben Mandate des Völkerbundes. Der Krieg brachte noch keinen Dekolonialisierungsprozess, wohl aber Emanzipationserfolge gegenüber dem alten europäischen Kontinentalimperialismus der Niederlagestaaten. Daher war es Europa, wo die Landkarte am deutlichsten die Spuren des Krieges zeigt. Die fünf Friedensverträge aus den Vororten von Paris prägten Europa, vorerst bis zum Zweiten Weltkrieg, dann durchaus bis in die Gegenwart.

In Versailles wurde Elsass-Lothringen Frankreich zugesprochen, das Saargebiet wurde für 15 Jahre dem Völkerbund unterstellt. Posen fiel Polen zu, ebenso große Teile Westpreußens. Ostpreußen war somit von Deutschland abgeschnitten, Danzig wurde "Freie Stadt“. Eine Volksabstimmung führte zur Teilung Nordschleswigs zwischen Dänemark und Deutschland.

Habsburgs Erbgut

Der Zerfall der Habsburgermonarchie veränderte die Landkarte am dramatischsten. Böhmen, Mähren und Schlesien bildeten die neue Tschechoslowakei, Galizien kam zu Polen. Die Bukowina fiel Rumänien zu. Dalmatien, Krain, die Untersteiermark, das Miestal und Seeland wurden dem SHS-Staat (Staat der Slowenen, Kroaten und Serben – kurzzeitiger Vorgängerstaat Jugoslawiens) zugesprochen. Das Ergebnis von Saint-Germain wurde noch von Trianon getoppt. Ungarn verlor die Slowakei und die Karpatoukraine an die Tschechoslowakei. Kroatien, Slawonien, Prekmurje, die Batschka und Teile des Banats gingen an den SHS-Staat. Siebenbürgen und der Rest des Banats wurden Rumänien zugeschlagen. Österreich erwarb den Großteil der westungarischen Komitate. Für die Ungarn war all dies dramatisch. Im Geografieunterricht sagte man damals, dass Ungarn nur an Ungarn grenze, und bis heute kann man Devotionalien finden, die Ungarn in der alten Größe zeigen. Trianon ist bis heute ein Trauma. Und tatsächlich hatten die "Nachfolgestaaten“ einen höheren Minoritätsanteil, als dies die ungarische Reichshälfte hatte, wo 55 Prozent Ungarn 45 Prozent Minoritäten gegenüberstanden. Aber all diese Zahlen waren vor allem dazu da, um Emotionen zu schüren.

Bulgarien ist für uns oft nur am Rande des Blickfeldes. Aber nirgendwo sonst waren die Kriegsfolgen so dramatisch, nirgendwo hungerte ein so großer Prozentsatz der Bevölkerung. 1919 war Sofia wohl die ärmste Großstadt Europas. Im Friedensvertrag von Neuilly musste Bulgarien die Grenze zu Rumänien akzeptieren, die nach dem Zweiten, von Bulgarien verlorenen Balkankrieg gezogen wurde. Auf einen Zugang zur Ägäis musste verzichtet werden. Westthrakien fiel an den Völkerbund, also praktisch an Griechenland.

Keine Lösung

"A Peace to End All Peace“ nannte unlängst David Fromkin sein Buch zum Versuch, im Nahen Osten Frieden zu stiften. Das war reichlich hoffnungslos. Das Sykes-Picot-Abkommen sah schon 1916 eine Teilung des Nahen Ostens in eine französische und eine britische Einflusssphäre vor, mit einer internationalisierten Stadt Jerusalems, an der auch Russland beteiligt sein sollte. Die Oktoberrevolution machte dies obsolet. 1917 versprach der britische Außenminister Balfour den Juden eine "nationale Heimstätte“. Die Jungtürken, als die militärische Opposition gegen den Sultan, wollten einen Nationalstaat der Türken, was im Weltkrieg zum schrecklichen Genozid an den Armeniern in Anatolien geführt hatte. Und in Paris ging man noch davon aus, dass einerseits Griechenland ein Siegerstaat sei, und dass anderseits Kurden und Armeniern souveräne Staatsgebilde zustanden. Aber was langwierig in Sèvres ausgehandelt und vom Sultan unterzeichnet worden war, wurde im türkischen Parlament nie ratifiziert. Blutige Kämpfe folgten in praktisch allen Regionen. Die Tragödie von Smyrna, wo türkische Truppen die dominant griechische Bevölkerung der kleinasiatischen Stadt einfach ins Meer trieben, war trauriger Höhepunkt. Von der Grenze zu Russland bis in die arabische Welt wurde weiter gekämpft. Der Vertrag von Lausanne von 1923, der die "ethnische Säuberung“ zwischen Türken und Griechen letztlich fixierte, brachte keine dauerhafte Befriedung der Weltregion.

Keine friedlichere Welt

Die neuen Grenzen wurden von den Interessen der Siegermächte diktiert und machtpolitisch gezogen. Der Traum, "Nationalstaaten“ zu schaffen, diese in einem Völkerbund gemeinsam den Frieden sichern zu sehen, war völlig unrealistisch. Man hatte neue Minoritäten geschaffen, neues Konfliktpotenzial angehäuft, und man war vor allem an den Differenzen zwischen den Siegermächten gescheitert, vom Gegensatz zwischen Italien und dem SHS-Staat im Norden bis zum Aufeinanderprall der kolonialen Interessen von Frankreich und England im Nahen Osten. Die Friedensverträge hatten die Welt nicht friedlicher gemacht.