Von den großen kriegführenden Nationen war, abgesehen vom "Kranken Mann am Bosporus", Russland am schlechtesten auf den Weltkrieg vorbereitet. Wohl hatten französische Banken Unsummen investiert, um die Modernisierung im Zarenreich voranzutreiben. Aber noch immer war der Analphabetismus extrem hoch, die Elektrifizierung in den Kinderschuhen und das Eisenbahnnetz grobmaschig gewebt.

Dennoch war auch in Russland die Kriegsbegeisterung groß. Einerseits schien eine Lösung des strategischen Hauptproblems, die Kontrolle über Bosporus und die Dardanellen, möglich, da man an der Seite Serbiens focht. Und andererseits wurde Deutschland als Hauptfeind auch in der Bevölkerung wahrgenommen. Obwohl sich Russland von der vernichtenden Niederlage gegen Japan und der darauf folgenden Revolution noch nicht erholt hatte und obwohl seither der Zar sowohl mit einem Parlament, der Duma, als auch mit schwindender persönlicher Autorität konfrontiert war, zogen die Menschen begeistert in diesen Krieg.

Die Bolschewiki

Die exponiertesten Kriegsgegner waren die Bolschewiki. Im Gegensatz zu den Arbeiterparteien des Westens, die sich in den Vorkriegsjahrzehnten in den jeweiligen Staat integriert hatten und somit die Kriegspolitik weitgehend mittrugen, waren die Bolschewiki eine kleine Elitebewegung geblieben, die sich überwiegend in der Verbannung oder im Exil befand. Als solche musste sie nicht auf die Stimmung der Massen Rücksicht nehmen. "Lieber mit den Massen irren als gegen die Massen recht behalten", hatte etwa Victor Adler ausgeführt. Lenin und seine Getreuen konnten sich konsequent gegen den Krieg stellen, was ihnen in Europa nur wenige nachmachen konnten.

Die zaristischen Truppen hatten Anfangserfolge. Schon am 17. August 1914 drangen sie nach Ostpreußen vor. Doch dann setzte es Rückschläge, auch gegen Österreich-Ungarn, das Lemberg zurückeroberte. Schon im ersten Kriegswinter zählte man über eine Million tote Soldaten in der russischen Armee. Und das Leben in den Städten war auch schon in diesem ersten Winter von Not gekennzeichnet. Die schwache Infrastruktur konnte die Versorgung nicht gewährleisten.

Im August 1915 hatte ein Drittel der russischen Truppen keine Gewehre mehr, Munition fehlte ebenso. Daher machte sich Kriegsmüdigkeit breit, der das große Land nur den tief verwurzelten Patriotismus entgegenzusetzen hatte. Dieser bündelte sich noch einmal in der großen Brussilow-Offensive von 1916, die weit nach Westen vordrang und fast eine halbe Million der deutschen und österreichischen Soldaten in Kriegsgefangenschaft brachte. Aber auch die russischen Verluste waren gewaltig. Dieses letzte große Aufbäumen hatte vor allem gezeigt, dass die Alliierten im Westen die Bindung der Kräfte vor allem Deutschlands im Osten benötigten, dass für die Alliierten die russische Front wichtig war.

Im Land wurde die Versorgung immer kritischer, die Kriegsmüdigkeit immer größer und die Kritik an der Politik immer lauter. Das Land war fast vollständig auf die Hilfe der Westalliierten angewiesen, die russische Staatsschuld hatte sich durch den Krieg mehr als verdreifacht. Im Kriegswinter 1916/17 wurden sogar die Militärstiefel knapp, Massendesertionen setzten ein, die Ordnung ging verloren.

Der Zar dankt ab

Am 18. Februar (nach westlichem Kalender am 3. März) brach in den Petrograder Putilow-Werken ein Streik aus, der in der chaotischen und aufgeheizten Stimmung in der Stadt rasch um sich griff. Die Bewegung wuchs vier Tage später nochmals gewaltig an. Als schließlich der Zar Truppen einsetzte und Dutzende Tote auf den Straßen lagen, der Zar zusätzlich die Auflösung der Duma, also des Parlaments, anordnete, brachen die Dämme. Der Aufstand griff auch auf Moskau und andere Städte über, der Zar wurde zur Abdankung gezwungen. Noch im März wurde die Zarenfamilie nach Sibirien verbannt, wo sie ein gutes Jahr später ermordet werden sollte.

Die provisorische Regierung hatte keine andere Wahl, als im Krieg bündnistreu zu bleiben, zu sehr hing man am Tropf der Westmächte. Aber die Arbeiter-

und Soldatenräte boten ein innerstaatliches Gegengewicht, das sich nach Lenins Rückkehr aus dem Exil noch verstärkte.

Die Oktoberrevolution, eingeleitet von einem Schuss vom Kreuzer "Aurora" und vollendet im Sturm auf das Winterpalais, fegte die provisorische Regierung unter Kerenski hinweg. "Für Frieden, Brot und Land", das war die Parole, die die Bolschewiki zum Sieg im Inneren führte. Und rasch strömten die Bauernsöhne von der Front zurück: Man wollte nicht zu spät kommen, wenn Land verteilt wird.

Friedensverhandlungen

Ab Dezember 1917 galt an der Schlachtlinie zwischen den Mittelmächten und Rumänien und Russland ein Waffenstillstand. Am 22. Dezember begannen die Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk, die auf Wunsch Russlands öffentlich geführt wurden - hoffte man doch auf das Überspringen des Revolutionsfunkens auf Zentraleuropa. Eine Idee, die fast aufgegangen wäre, setzten doch die Jännerstreiks vor allem die Habsburgermonarchie fast lahm.

Es war vor allem die Taktik Trotzkis, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen. Aber Lenin wollte Frieden um jeden Preis, den versprochenen Frieden "ohne Annexionen und Kontributionen", um die Macht im Inneren zu festigen. Als die Deutschen die Kämpfe wieder aufnahmen und Russland nichts entgegensetzen konnte, wurde schließlich der Diktatfrieden von Brest-Litowsk am 3. März 1918 unterzeichnet. Russland verlor ein Viertel seines europäischen Territoriums, drei Viertel der Eisen- und Kohleproduktion, ein Viertel des Eisenbahnnetzes und 60 Millionen Menschen. Auch Rumänien erhielt einen vergleichbaren Knebelungsvertrag.

Versiegte Hoffnungen

Drei Tage nach der Unterzeichnung billigten die Bolschewiki den Vertrag, da die Konflikte im Inneren keinen Handlungsspielraum ließen. Fast zur gleichen Zeit landeten britische Truppen in Murmansk, um die Konterrevolution zu unterstützen. Der blutige Bürgerkrieg und die Intervention prägten die nächsten Jahre Russlands. Aber auch für die Mittelmächte ging die Rechnung nicht auf. Die erschöpften Truppen waren von der Westfront keine entscheidende Verstärkung mehr und das erhoffte Getreide aus der Ukraine versickerte auf dem Weg nach Wien.

Russland stieg aber nicht nur aus dem Krieg aus, es versuchte einen radikalen Gegenentwurf nicht nur zum Zarismus, sondern zur liberalen Demokratie zu leben. Die Übernahme westlicher Modernisierung, etwa des Kalenders, klammerte die liberalen und demokratischen Entwicklungen aus und setzte dort an, wo die Französische Revolution 1794 gestanden war.