Als "unachtsame Aussagen, manche sagen: Parolen" hat Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) die Ausführungen in einem aufgetauchten Video von Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) zu in Teilzeit arbeitenden Frauen und zu Kinderarmut bezeichnet. "Diese Aussagen waren natürlich schon weit weg von den Lebensrealitäten dieser Frauen", sagte Kogler am Freitag vor Journalistinnen und Journalisten in Wien. Gleichwohl lobte er die, wie er betonte, Regierungsarbeit bei der Armutsbekämpfung.

"Jahrzehntelang wurde darüber geredet, diese Regierung hat es gemacht", so Kogler und verwies etwa auf Steuerentlastungsmaßnahmen. "Da haben wir immer die unteren Einkommen stärker adressiert, da war keine Gießkanne." Wichtig sei der weitere Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten.

60 Euro Kinderzuschuss

Ähnlich auch ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker bei einer Pressekonferenz. Die Regierung habe mehr für armutsbetroffene Menschen gemacht als alle Bundesregierungen der Republik davor - von der Erhöhung des Familienbonus und des Kindermehrbetrags über die zusätzlichen 60 Euro Kinderzuschuss monatlich für einkommensschwache Haushalte bis zur Extra-Familienbeihilfe. Der Anteil der armutsgefährdeten Menschen in Österreich sei von der Kanzlerschaft Christian Kerns (SPÖ) bis heute praktisch gleichgeblieben bzw. sogar leicht gesunken. "Aber wer hat damals davon gesprochen, wie es mit warmen Mahlzeiten bei den Kindern ist?"

Das Auftauchen des Videos sieht Stocker im Zusammenhang mit dem geleakten SORA-Strategiepapier für die SPÖ bzw. dem Start der ÖVP-Kampagne "Glaub an Österreich". Es könne kein Zufall sein, dass der Zusammenschnitt des Videos kurz nach der Präsentation aufgetaucht sei. "Allein aus dem Umstand, dass es ein Zusammenschnitt war, geht hervor, dass es vorbereitet gewesen sein muss." Und es passe genau zum Ton des Strategiepapiers, in dem die Vermittlung von Erschöpfung und einer schlechten Stimmung empfohlen worden sei.

"Opposition im Wahlkampf"

Die Opposition befinde sich bereits im Wahlkampf, vermutete Stocker. Die Kanzler-Worte verteidigte er erneut: Es müsse erlaubt sein anzusprechen, dass Eltern eine Verantwortung haben und ihre Fürsorgepflicht wahrnehmen müssten. Und es müsse erlaubt sein darauf hinzuweisen, dass Teilzeitarbeit in vielen Fällen auch freiwillig erfolge, weil es als individuell richtig empfunden werde. Das sei auch OK - aber dann könne man auch darauf hinweisen, das Teilzeit zu weniger Einkommen führe als Vollzeit.

Für die FPÖ ist ein Rücktritt des Kanzlers samt Neuwahlen unabdingbar. Das Video zeige Nehammers "tiefsten Hass gegen die eigene Bevölkerung", meinte Generalsekretär Michael Schnedlitz bei einer Pressekonferenz. Es gebe nichts Abscheulicheres als einen Menschen, der sich über armutsbetroffene Familien und Kinder lustig mache. "Jetzt stellen Sie sich vor, das macht nicht irgendein selbstherrlicher, moralisch verwahrloster Großkotz, sondern der Bundeskanzler."

Unterschied zum Ibiza-Video

Er verstehe schon den Unterschied zum Ibiza-Video, so Schnedlitz. Dieses sei von Journalisten und Medien verbreitet worden - Nehammers Aussagen dagegen nicht. Aber: "Ist es harmloser, als wenn zwei Angesoffene im Urlaub über die Kronenzeitung herziehen, wenn man über die eigene Bevölkerung herzieht?" Die Verbreiter des Videos ortete Schnedlitz im Umfeld von Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Niemand könne davon ausgehen, dass das Team um Neo-SPÖ-Chef Andreas Babler dazu in der Lage sei.

Sorgen machte sich Schnedlitz wegen des Verweises des Kanzlers auf Hamburger als billigste warme Mahlzeit. Wer Kinder zum Fastfood dränge, müsse auch die Folgen wie Diabetes und Kreislauferkrankungen sehen. "Unsere Kinder müssen uns doch mehr wert sein als ein billiger labordesignter Industriefraß." Nehammer verortete er auf einer Ebene mit Marie-Antoinette - während der französischen Ex-Königin die Worte "Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen" nur in den Mund gelegt worden seien, habe 234 Jahre später ein realer Herrscher diesen Satz mit Leben erfüllt - "nur nicht mit Kuchen, sondern mit Burgern.

"Sturm im Wasserglas"

Von einem "Sturm im Wasserglas" sprach dagegen Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP). "Ich muss bitten, auf die Sprache zu achten. Von humanitärer Krise zu sprechen, ist völlig überzogen." In der Ukraine würden täglich Menschen sterben, "wir haben Äthiopien, die Sahel-Zone - da reden wir tatsächlich von einer humanitären Krise?" Ja, es gebe Probleme und Herausforderungen, aber Stimmungen zu erzeugen, "als wären wir mit dem Rücken zur Wand, halte ich für verfehlt", so Schallenberg am Rande einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Vizekanzler. Leistung müsse zählen sowie Eigenverantwortung - und ein Blick über den Tellerrand sei wichtig, um zu sehen, was "wirklich eine humanitäre Krise" sei.