Jahrzehntelang ist das Ende der kalten Progression debattiert worden, besonders intensiv in Wahlkampfzeiten, danach bekanntlich weniger. Der Stolz, dass Türkis-Grün die schleichende Steuererhöhung im Vorjahr tatsächlich abgeschafft hat, war der Bundesregierung am Freitag auch ein Jahr später aus den Gesichtern zu lesen. "Es ist ein guter Tag für die Steuerzahler", sagte Kanzler Karl Nehammer (ÖVP). Aufgrund der hohen Inflation beträgt die Entlastung diesmal 3,65 Milliarden Euro. Zwei Drittel davon werden automatisiert durch eine Anhebung der Steuertarifstufen abgegolten, die Verteilung des dritten Drittels bleibt der Regierung vorbehalten. "Es ist in dieser Situation von Vorteil, weil es uns Spielraum gibt", erklärte Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) bei einer eigens einberufenen Pressekonferenz.

Im Vorjahr hatte die Regierung mit dem dritten Drittel noch die ersten beiden Tarifstufen außertourlich angehoben, um Geringverdiener besonders zu entlasten. "Jetzt gehen wir stärker in den Mittelstand hinein", erklärte Brunner. Ab 1. Jänner 2024 werden nun die ersten vier Stufen zusätzlich angehoben. Auf diese Maßnahme entfallen rund 800 Millionen der 1,2 Milliarden Euro, die der Regierung zur Verteilung bleiben. Das bedeutet konkret: Der Eingangssteuersatz steigt von 11.693 auf 12.816 Euro, die vierte Tarifstufe von 62.080 auf 66.612 Euro.

Kindermehrbetrag wird deutlich erhöht

Mit dem Rest werden einerseits Absetzbeträge valorisiert, aber auch arbeitsmarktpolitische und soziale Akzente gesetzt. Überstunden werden steuerlich entlastet, Gefahren- und Erschwerniszulagen sowie Zuschläge für Nacht- und Sonntagsarbeit angehoben. Der Gewinnfreibetrag bei Selbstständigen wird erhöht, die steuerliche Begünstigung von Homeoffice verlängert und der freiwillige steuerfreie Zuschuss von Arbeitgebern zur Kinderbetreuung von 1000 Euro auf 2000 Euro verdoppelt.

Den Grünen war vor allem die Erhöhung des Kindermehrbetrages wichtig, der Familien mit wenig Einkommen, die nicht vom Familienbonus Plus profitieren, zugutekommt. Der Mehrbetrag wird von 550 auf 700 Euro pro Kind erhöht. Sozialminister Johannes Rauch, der den Covid-erkrankten Vizekanzler Werner Kogler vertrat, sprach bei dem Pressetermin von einem "sozialen Drittel" und einer "Politik der Entlastung".

Anreiz für Vollzeitarbeit

Dass die Verteilung des dritten Drittels diesmal auch den Mittelstand erreicht, war naturgemäß ein Wunsch der Volkspartei, wurde aber vor einigen Wochen auch von IHS-Chef Holger Bonin empfohlen. Wenn der Grenzsteuersatz im mittleren Einkommensbereich sinkt, könnte dies ein Anreiz für mehr Vollzeitarbeit sein, so Bonin. Das IHS erstellt gemeinsam mit dem Wifo den sogenannten Progressionsbericht für die Bundesregierung. Die beiden Wirtschaftsinstitute berechnen jedes Jahr, wie hoch das Entlastungsvolumen einer Indexierung der Tarifstufen ist. Für heuer kamen sie auf 3,65 Milliarden Euro, im kommenden Jahr wird dieser Betrag angesichts der hohen Inflation noch einmal deutlich steigen.

Zusätzlich hat die Regierung auch festgelegt, dass der monatliche Freibetrag für 18 Überstunden 200 Euro im Monat betragen soll. "Wir entlasten diejenigen, die viel leisten", sagte Brunner, der die Maßnahme auch als sinnvoll im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Arbeitskräftemangel ansieht.

Dies kritisierte ÖGB-Chef Wolfgang Katzian. Bei fast 50 Millionen unbezahlter Mehr- und Überstunden pro Jahr habe es wenig Sinn, über eine Ausweitung der steuerlichen Begünstigung zu reden, sagte Katzian. "Außerdem muss das Ziel eine Arbeitszeitverkürzung sein und nicht eine – oftmals unbezahlte – Verlängerung."

Seit dem Jahr 2022, als die automatisierte Abgeltung der kalten Progression beschlossen wurde, ist der Eingangssteuersatz am stärksten angehoben worden, nämlich um 16,51 Prozent. Dem gegenüber sind die Tarifstufen für höhere Einkommen um zehn bis elf Prozent gestiegen. Unberücksichtigt blieb bisher stets die letzte Stufe für Luxuseinkommen von mehr als einer Million Euro, ab der ein Steuersatz von 55 Prozent anfällt.