Am Mittwoch startet die letzte Sitzung des Nationalrats vor der Sommerpause – Sie kündigten an, dass die Sitzung in die Verlängerung geschickt wird, wenn die Regierung keine Maßnahmen gegen die Teuerung ergreift. Woran denken Sie konkret? 

PHILIP KUCHER: Österreich hat mit einer Inflation von acht Prozent die höchste Teuerungsrate in Westeuropa. Ein Viertel der Menschen kann sich das Wohnen nicht mehr leisten, viele Menschen können von einem Urlaub nur noch träumen. Da kann auch die Politik keine Pause machen. Es braucht konkrete Maßnahmen, etwa eine Mietpreissenkung oder ein Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel des täglichen Bedarfs. Spanien hat 1,6 Prozent Inflation, die Schweiz 1,7 Prozent, alle westeuropäischen Staaten haben die Teuerungsbekämpfung besser in den Griff bekommen als Österreich. 

Mehrwertsteuersenkungen wurden bisher nie in voller Höhe an die Konsumentinnen weitergegeben, wohl aber gab es hinterher den vollen Aufschlag, der nochmals als Teuerung wirkte. Warum diese leere Forderung?  

KUCHER: Deswegen sieht unser Vorschlag auch eine Anti-Teuerungskommission vor, die garantiert, dass die Preissenkungen weitergegeben werden.  

Das klingt nicht viel effizienter als der Teuerungsgipfel von Sozialminister Johannes Rauch.  

KUCHER: Wir brauchen keine Kaffeekränzchen im Sozialministerium. Die Leute zahlen 100 Euro mehr pro Monat für Lebensmittel als in Deutschland. Ich will zum Beispiel die Energiehilfen auf Steuerzahlerkosten zurückfordern, wenn Steuersenkungen nicht weitergegeben werden. Sonst zahlen wir ja doppelt.  

Wie wollen Sie Forderungen wieder einheben, die bereits auf Basis einer Rechtsgrundlage ausbezahlt wurden? 

KUCHER: Ich bin mir sicher, dass wir die technische Umsetzung mit dem Regierungsapparat legislativ schaffen werden. Entweder über eine Änderung der bestehenden Gesetze oder über eine echte Übergewinnabschöpfung danach.  

Seit dem 14. Juni ist Philip Kucher geschäftsführender Klubobmann der SPÖ, seine Stellvertreterinnen sind  Eva-Maria Holzleitner und Julia Herr
Seit dem 14. Juni ist Philip Kucher geschäftsführender Klubobmann der SPÖ, seine Stellvertreterinnen sind Eva-Maria Holzleitner und Julia Herr © David Visnjic

Mit Blick auf Ihren Aktionismus: War die Blockade des Nationalrats durch ihre ehemalige Parteichefin Pamela Rendi-Wagner ein Fehler?

KUCHER: Wir haben schon im Vorjahr 30 Anträge gegen die Teuerung eingebracht, Werner Kogler nannte das Hysterie. Wir wollten die Regierung dazu zwingen, aktiv zu werden. Nur: Die ÖVP will weder etwas für die Menschen noch für die Umwelt tun. Auch beim Erneuerbare-Wärmegesetz gibt es noch viele ungelöste Fragen. Wir wollen etwa ausschließen, dass Mieterinnen und Mieter dann für den Heizungstausch zahlen müssen. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir da am Rande der Plenarsitzung noch verhandeln werden.  

Am Freitag gibt es die Aufnahmeprüfungen für das Medizinstudium. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner forderte eine Zugangsverschärfung für Studierende aus Deutschland. Was ist der SPÖ-Vorschlag zur Lösung des Ärztemangels?

KUCHER: Wir brauchen mehr Ärzte, also eine deutliche Erhöhung der Studienplätze. Außerdem soll in der Aufnahmeprüfung soziale Kompetenz und Engagement besser bewertet werden. Es gibt schon jetzt eine Prüfungsindustrie, die auf diesen Tag vorbereitet. Wir brauchen aber Ärzte, die helfen wollen, und nicht nur solche, die gut auswendig lernen können. 

"Eine Steigerung der Ärzteausbildung wäre ein sehr plumpes Mittel, um dem Ärztemangel entgegenzusteuern", bilanzierte Komplexitätsforscher Peter Klimek. Und die nächste Frage: Woher sollen diese Ausbildungskapazitäten so rasch kommen? 

KUCHER: Wir wollen ein Maßnahmenpaket. Etwa auch ein Landarztstipendium nach deutschem Vorbild, wo man nach der Facharztausbildung dazu verpflichten wird, dem öffentlichen Gesundheitssystem zur Verfügung zu stehen. Ich kann mir etwa zehn Jahre vorstellen. Wir werden letztlich viele Maßnahmen brauchen. Fast 50 Prozent der klassischen Hausärzte sind über 55 Jahre alt. In spätestens zehn Jahren haben wir also ein massives Problem. 

Vergangenes Wochenende lieferte der bisherige Bundesratspräsident Günter Kovacs eine minutenlange Breitseite gegen Andreas Babler und jeden seiner Vorschläge in der Sendung "Hohes Haus" ab. Sitzt die Verwundung im Doskozil-Lager noch so tief?

KUCHER: Wir hatten schwierige letzte Monate. Für den Klärungsbedarf, den es noch gibt, werden wir aufeinander zugehen. Aber seit Andreas Babler Parteichef ist, haben wir 1000 neue Mitglieder und enorm viel positive Rückmeldungen. 

Wie ist Ihnen persönlich der Wechsel von Team Doskozil ins Team Babler gelungen?

KUCHER: Ich war immer Team SPÖ.

Wer wird außenpolitische Sprecherin in der Nachfolge von Pamela Rendi-Wagner?

KUCHER: Das besprechen wir dieser Tage. 

Wird es dann eine deutlichere Sprachregelung zu Russlands Angriff auf die Ukraine geben?

KUCHER: Ich habe immer klargestellt: Wenn Putin die Waffen niederlegt, ist der Krieg zu Ende, aber wenn die Ukraine die Waffen niederlegt, ist sie ausgelöscht. Auch eine Abwesenheit wie bei der Selenskyj-Rede wird so nicht mehr vorkommen.  

Überdenkt die SPÖ künftig auch ihre Position in der Neutralität?

KUCHER: Wir bleiben dabei, dass Österreichs Neutralität immerwährend ist.  

Das Neutralitätsgesetz wurde 1955 verabschiedet, mittlerweile hat sich die Weltpolitik mindestens zwei Mal völlig gedreht. Was bedeutet immerwährend in dem Kontext?

KUCHER: Neutralität heißt für uns nicht wegducken, sondern sich an humanitären Hilfsprojekten zu beteiligen und unseren Verpflichtungen im Rahmen von UN-Missionen nachzukommen. 

Das heißt, die SPÖ ist bei "Sky Shield" dabei?

KUCHER: Ein europäischer Schutzschirm sollte möglichst keine Löcher haben. Wenn der Verfassungsdienst sagt, das ist mit der Neutralität vereinbar und wenn es der Sicherheit dient, das Kommando darüber aber nicht bei der NATO ist, dann ja.