Herr Landesrat, haben Sie schon bereut, sich nicht die Hand abgehackt zu haben?
Sven Hergovich: Nein. Weil es mir wichtig ist, zu meinem Wort zu stehen. Ich kann die gekünstelte Aufregung nicht verstehen – eigentlich sollte es das Normalste der Welt sein, dass man ehrlich ist. Jetzt bin ich erst kurz in der Politik und die Politik ist vielleicht nicht das ehrlichste Gewerbe der Welt – aber dass man sich empört, wenn jemand zu seinem Wort steht, statt alles zu akzeptieren, hat mich überrascht.
Von außen hat das so ausgeschaut: Sie sind mit relativ starken Forderungen in die Verhandlungen gegangen und haben gesagt: Das will ich, nicht weniger.
Ich möchte dieser Außen- meine Innenperspektive gegenüberstellen. Nachdem wir wochenlang mit der ÖVP verhandelt hatten, ob wir überhaupt über Inhalte reden können und nicht nur über Posten, hat man uns gebeten, auf die fünf wichtigsten Kernforderungen zu reduzieren. Das haben wir getan: Wir wollen ganztägige kostenlose Kinderbetreuung im ganzen Land, eine Ausweitung des Jobgarantie-Projektes, Anstellung pflegender Angehöriger, einen Heizpreisstopp und eine Strukturoffensive für vernachlässigte Regionen. Ich wollte das in einer offenen, transparenten Art und Weise machen und habe die Öffentlichkeit über diese Kernpunkte informiert. Währenddessen hat man schon den Stimmzettel für die FPÖ abgeändert. Dann haben wir einige Tage konstruktiv weiterverhandelt, bevor die ÖVP – nachdem Udo Landbauer sie eingeladen hat – sofort mitgeteilt hat, die Verhandlungen mit uns auf Eis zu legen.
Mit bekanntem Ergebnis.
Es ist ja total okay, wenn die ÖVP sagt, sie möchte lieber mit der FPÖ eine Koalition schließen. Was mich stört, ist die Unehrlichkeit: Dass man Scheinverhandlungen führt, dem Wähler was anderes verspricht, als man dann tut. Ich bin erst seit einigen Wochen in der Politik, aber ich kenn es halt so, dass wenn man sein Wort gibt, dass man es auch hält.
In diesen paar Wochen hat sich gerade in der SPÖ vieles getan, wie haben Sie denn das erlebt?
Durchaus turbulent. Ich freue mich, dass wir mit dieser Mitgliederbefragung einen Lösungsmechanismus gefunden haben, der uns ermöglicht, sehr bald eine Person an der Spitze zu haben, hinter der wir uns alle versammeln können. Ich schätze alle drei Kandidaten, ich halte alle drei für ausgezeichnet geeignet. Egal, wie die Befragung ausgeht: Ich werde die Person, die die meisten Stimmen unserer Mitglieder erhält, zu 100 Prozent unterstützen.
Für wen werden Sie stimmen?
Ich nehme das Instrument der Befragung wirklich ernst und habe mir deshalb vorgenommen, keine Präferenz zu erkennen zu geben. Ich möchte keine weiteren Gräben aufreißen.
Das Programm von Andreas Babler referenziert direkt auf Ihr (AMS-)Pilotprojekt Marienthal, das Langzeitarbeitslosen eine staatliche Jobgarantie gibt. Ausprobiert wurde das in einer einzelnen Gemeinde, Gramatneusiedl. Halten Sie dieses Modell für skalierbar für ganz Österreich?
Ja. Wir haben schon zu Projektbeginn eine Gemeinde gewählt, deren Durchschnitt typisch für ganz Österreich ist, um eben Erkenntnisse generieren zu können. Die Evaluierung der Universität Oxford bescheinigt uns Ergebnisse weit über den Erwartungen. Die Grundidee war, das viele Geld, das wir jetzt in die Versorgung Langzeitarbeitsloser stecken, lieber dafür zu verwenden, Arbeitsplätze zu schaffen. Eine Ausweitung auf ganz Österreich würde ökonomisch, sozial und gesellschaftspolitisch Verbesserungen bringen – und nicht mehr kosten als die jetzige Arbeitsmarktpolitik.
Haben Sie schon bereut, das AMS verlassen zu haben?
Nein, im Gegenteil. Beim AMS habe ich mir bei meinen Projekten oft anhören müssen, dass die Politik manche Sachen so nicht will. Da habe ich beschlossen, dann muss ich eben selber in die Politik gehen und mich darum kümmern. Tatsächlich hat mich das Ausmaß der Unehrlichkeit der Politik aber überrascht – mit jedem Tag sehe ich noch viel mehr Verbesserungsbedarf, als man das von außen erkennt.
Wie geht es im Bund weiter?
Ich gehe davon aus, dass sich alle zu 100 Prozent hinter den Sieger der Mitgliederbefragung stellen. Wir Sozialdemokraten sind dringend aufgerufen, an einem Strang zu ziehen und uns auf die inhaltlichen Themen zu fokussieren, von der Teuerung bis zum Pflegenotstand.
Mit welcher anderen Partei könnte die SPÖ das am ehesten?
Ich glaube, dass das in einer Ampelkoalition am einfachsten wäre. Seit ich auf der Welt bin, regiert immer die ÖVP. Ein Neuanfang einmal ohne Regierungsbeteiligung der ÖVP wäre für das Land sicher am besten.
Georg Renner