Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich bei der Angelobung am Freitag in der Hofburg besorgt über die Hereinnahme der FPÖ gezeigt. Verstehen Sie die Sorgen? Oder sagen Sie sich: Das ist parteipolitisch motiviert?

JOHANNA MIKL-LEITNER: Die Kritik nehme ich sehr ernst. Ich bitte aber auch zu akzeptieren, dass ich mich als Demokratin ans Wahlergebnis halte. Meine erste Präferenz war die SPÖ. Der eigentliche Skandal liegt darin, dass eine ehemals staatstragende Partei wie die SPÖ aus Kompromisslosigkeit eine Zusammenarbeit in Niederösterreich unmöglich gemacht hat. Wie hat ein Meinungsforscher gesagt? Die SPÖ ist die Geburtshelferin von Schwarz-Blau.

Das heißt, dass Schwarz-Blau eine Koalition wider Willen ist?

Ich bin nach der Wahl auf die SPÖ zugegangen. Nach sechs Wochen Verhandlungen war klar, dass man keine Zusammenarbeit wollte. Wir sind mit den gleichen Forderungen in die Verhandlungen mit der FPÖ gegangen.

Ist der Udo Landbauer des Jahres 2018, den sie damals kategorisch als Koalitionspartner ausgeschlossen haben, ein anderer als der Landbauer des Jahres 2023? Hat sich der Chef der niederösterreichischen FPÖ wirklich vom Saulus zum Paulus gewandelt?

Wir haben aufgrund der Verhandlungen eine professionelle Grundlage mit einem Grundvertrauen gefunden. Jetzt sollte man sich den Inhalten widmen und die künstliche Empörung zurücklassen. Wir haben jetzt als erste Maßnahme einen Pflege-Tausender für Pflegebedürftige ab der Pflegestufe drei beschlossen, die zu Hause betreut werden. Damit erreichen wir 47.000 Menschen.

Künstliche Empörung? Auch ÖVP-Bürgermeister sagen im Hintergrundgespräch, dass sie an der Basis großen Erklärungsbedarf haben. So künstlich ist das also nicht?

Ich orte durchaus einen Informationsbedarf bei allen Bürgerinnen und Bürgern. Da gilt es zu erklären, warum die SPÖ die Zusammenarbeit torpediert hat.

Machen Sie es sich nicht zu einfach, indem Sie der SPÖ die Schuld in die Schuhe schieben?

In den sechs Wochen hat Sven Hergovich (Anm.: der neue SPÖ-Chef von Niederösterreich), der sich noch nie einer Wahl stellen musste, Forderungen aufgestellt, die politisch wie auch finanziell nicht umzusetzen waren. Ein Förderstopp für Landwirte, die nicht ausschließlich bio produzieren, hätte dazu geführt, dass 80 Prozent der niederösterreichischen Bauern nicht mehr unterstützt werden. Jede Woche vier Stunden Nachhilfe bis zur Matura gratis, das fordert keine andere SPÖ-Landesorganisation. Seine Forderungen beliefen sich auf acht Milliarden, das ist mehr als das jetzige Landesbudget.

Die FPÖ hat im Wahlkampf gegen Sie polemisiert, Sie als „Drahtzieherin der korrupten ÖVP“, als „sozialpolitische Eiskönigin“, als „Mutter der Impfpflicht“ angegriffen. Mussten Sie über Ihren eigenen Schatten springen?

Natürlich bin ich über den eigenen Schatten gesprungen. Wichtig ist, diese Befindlichkeiten beiseitezuschieben. Hätte ich mich nach dem Veto der SPÖ einer Zusammenarbeit mit der FPÖ verweigert, hätte es Neuwahlen gegeben. Das ist aber nicht mein Verständnis von Demokratie. Wir haben jetzt die Chance, die Menschen wieder zusammenzuführen und die Gräben zu schließen.

Reißt aber nicht ausgerechnet ein Herr Waldhäusl, der bis zuletzt FPÖ-Landesrat in Niederösterreich war, Gräben auf, wenn er in einer TV-Sendung Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die in Wien aufgewachsen sind und in die Schule gehen, das Bleiberecht abspricht?

Ja, sicher. Es gibt viele Ursachen, warum Gräben aufgerissen worden sind, ich denke auch an die globalen Krisen, die Pandemie. Mit unserem Programm wollen wir die Gräben zuschütten.

Im Corona-Papier des Koalitionsabkommens findet man keinen einzigen Hinweis, dass etwa die Impfung, die Masken, der eine oder andere Lockdown sinnvoll waren. Es liest sich wie ein Papier, das Kickl selbst geschrieben hat. Haben Sie vor der FPÖ kapituliert?

Weit gefehlt. Das Kapitel ist kein Zugeständnis an die FPÖ, sondern die Chance, dass wir die Gesellschaft wieder einen. Wir haben in Niederösterreich schon im Jahr 2020 verfassungswidrige Corona-Strafen zurückgezahlt – und SPÖ und Neos fordern das seit Jahren im Bund. Wichtiger ist, dass mit dem neuen Corona-Fonds Therapien und Behandlungen bei Kindern und Jugendlichen gefördert werden. Es profitieren alle davon, nicht nur die Impfgegner, auch die Impfbefürworter.

Künftig fällt bei der Aufnahme in den Landesdienst und dort, wo das Land die Personalhoheit besitzt, die Corona-Impfpflicht weg. Gilt das auch für Spitäler und Altenheime?

Nicht künftig. Das wurde schon letztes Jahr aufgehoben. Zeitgleich mit dem Aufheben des Impfpflichtgesetzes im Bund.

Wer im Spital arbeitet, muss nicht mehr geimpft sein?

Schon seit letztem Jahr, richtig. Und genau so wie in allen anderen öffentlichen Spitälern in Österreich auch. Aber natürlich werden die Kliniken etwa auf der Intensivstation Leute einsetzen, die geimpft sind. Das kann man alles mit Vernunft und Hausverstand lösen und ist in ganz Österreich das Gleiche.

Im Wahlkampf hat die FPÖ die Schließung des Herrmann Nitsch-Museums im Weinviertel gefordert. Wird man die Förderungen streichen oder gar das Museum schließen?

Also bitte, natürlich nicht. Vielfalt, Weltoffenheit, Toleranz sind oberstes Gebot. Wir brauchen die Kultur, von der Volks- bis zur Hochkultur. Dafür stehe ich. Das wird auch so bleiben.

Viele Künstler, die Ihr Vorgänger Erwin Pröll ins Land geholt hat, sind entsetzt über die Koalition, ich denke an Peter Turrini, mit dem Ihr Vorgänger sogar ein Buch herausgegeben hat. Werden Sie das Gespräch mit den Künstlern suchen?

Ich akzeptiere und respektiere die Kritik der Künstlerinnen und Künstler, ersuche aber auch, demokratische Entscheidungen der Wähler zu akzeptieren. Mir ist es wichtig, den Künstlerinnen und Künstlern zu versichern, dass Niederösterreich das Kulturland bleibt.

Weil Sie betont haben, demokratische Entscheidungen seien zu akzeptieren: Ist das niederösterreichische Modell ein Vorbild für den Bund?

Ich bin für Niederösterreich verantwortlich.

Wenn Sie mit Landbauer koalieren, kann die Bundes-ÖVP dann auch Kickl in die Regierung holen, als Vizekanzler oder sogar als Kanzler – oder nicht?

Niemand weiß, was in zwei Jahren im Bund los ist. Ich beteilige mich sicherlich nicht an Spekulationen.