Nur für einen Sprung kam Michael Ludwig am Dienstagabend im Parlament vorbei. Der SPÖ-Klub hatte zu einer Veranstaltung über die Ausschaltung des Parlaments vor 90 Jahren geladen, doch darüber hinaus gab es aktuellen Handlungsbedarf. Wieder einmal hatten Gerüchte die Runde gemacht, SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner stehe unmittelbar vor der Ablöse. Auch der Wiener Bürgermeister habe sich von ihr abgewandt, hieß es. Die Zweite Parlamentspräsidentin Doris Bures sollte sie interimistisch als Parteichefin beerben, ließen sich Funktionäre anonym in Medien zitieren.

Doch dann trat Rendi-Wagner flankiert von Michael Ludwig und Doris Bures ins Lokal 2 im Parlament. Er stehe "ganz stark" hinter der Parteichefin, betonte Ludwig: "Daran gibt es nichts zu rütteln."

Alle Alternativen ohne Mehrheit

Ob nach dem schlechten SPÖ-Ergebnis bei der Niederösterreichwahl, nachdem burgenländischen Genossen eine Umfrage in Umlauf brachten, die Doskozil mehr Erfolgschancen attestierte oder am 1. Mai, wo er einen symbolträchtigen Regenschirm über sie spannte – der Wiener Bürgermeister, der als mächtigster Mann der SPÖ gilt, hat Routine darin, die Parteichefin öffentlich zu bestärken. An seiner Position habe sich nichts verändert, heißt es aus seinem Umfeld. Eine Personaldebatte vor den Landtagswahlen in Kärnten und Salzburg will er um jeden Preis verhindern. Und obwohl Rendi-Wagner schon hauptsächlich mangels Alternativen Parteichefin wurde, stellt sich die Situation jetzt nicht viel anders dar: Alle lancierten Namen von potenziellen Nachfolgern – Ludwig oder Bures, Doskozil, Kern oder gar Wrabetz – haben entweder kein Interesse an dem Job oder (zumindest derzeit) keine Mehrheit hinter sich.

Auch wenn eine Fortsetzung der Debatte nach den anstehenden Wahlen praktisch vorprogrammiert ist: Ob der Zeitpunkt günstig für einen Führungswechsel ist, ist alles andere als klar. Im Gespräch mit der Kleinen Zeitung verweist Politikwissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik darauf, dass der "Neuübernehmer-Bonus" frischer Parteichefs sich in den vergangenen Jahren nie recht lang gehalten habe: Der "Spindelegger-Bonus" in Umfragen habe der ÖVP genauso nur wenige Monate lang etwas gebracht wie der "Django-Bonus" unter Reinhold Mitterlehner.

Parteichefs gewinnen an Bedeutung

Und gerade die SPÖ hat – schlechte – Erfahrung damit, was es heißt, den richtigen Zeitpunkt für einen Führungswechsel zu verpassen: Christian Kern, der Werner Faymann 2016 abgelöst hatte, verzichtete im Schatten der langen Bundespräsidentenwahlen jenes Jahres darauf, eine Neuwahl auszurufen, solange er noch den Schwung des Neuen hatte – und rieb sich in Koalitions-Querelen mit der ÖVP auf. Eine Lücke, die dann Sebastian Kurz nutzte – um selbst mit dem Imagebonus, der unverbrauchte Kandidat zu sein, in die Wahl zu gehen und zu gewinnen,

Politikwissenschaftlich sei jedenfalls zu beobachten, dass die Bedeutung der Parteichefs für den Wahlerfolg steige. Dadurch, dass die "Stammwählerschaft" der Parteien nach und nach abnehme, trete die Inszenierung von Persönlichkeiten in den Vordergrund, sagt Ennser-Jedenastik. "Parteien als Träger kollektiver Identität verblassen in modernen Demokratien", schreiben die Schweizer Politikwissenschaftler Diego Garzia, Frederico Ferreira da Silva und Andrea De Angelis in einer großangelegten Forschungsarbeit zur Personalisierung der Politik: "Sie werden in großem Ausmaß ersetzt durch ihre Parteichefs – als Prisma, durch das die Wählerschaft Politik in Zeiten der Entkopplung wahrnimmt." Ob das in der SPÖ demnächst jemand neuer tun wird, bleibt abzuwarten.