Es gibt einen Satz im heute erschienen Bericht des Rechnungshofs über das Corona-Management der Bundesregierung, der wie kein anderer auf den Punkt bringt, wie viel dabei in den vergangenen zweieinhalb Jahren eigentlich schief gelaufen ist: "Der RH empfahl dem Gesundheitsministerium, den Schutz der öffentlichen Gesundheit bundesweit einheitlich zu gewährleisten."
Unklare Zuständigkeiten, verwaiste Fachabteilungen, zu wenig Ressourcen in Bund, Ländern und Bezirken, ein absurder Wildwuchs unterschiedlicher Datenerfassungssysteme - und viel zu wenig Austausch untereinander: Es ist ein verheerendes Bild, das sich den Prüferinnen und Prüfern des Rechnungshofes bot, als sie das erste Jahr des Pandemiemanangements unter die Lupe genommen haben - und in der Folge: wie wenig daraus gelernt worden ist.
WHO warnte Österreich über mangelnde Vorsorge
Die Mängel begannen dabei lange vor Corona: So hatten die WHO sowie Experten in Gesundheits- und Verteidigungsministerium - schon 2019, als noch türkis-blau und danach die Regierung Bierlein im Amt waren, explizit vor einem hohen Risiko einer Seuch gewarnt - und gemahnt, dass Österreich entsprechende Vorkehrungen treffen sollte.
Das unterblieb; die Pandemie erwischte Österreich mit einem hoffnungslos veralteten Pandemieplan aus dem Jahr 2006, einer unbesetzten Generaldirektion für die öffentliche Gesundheit und einem Obersten Sanitätsrat, dessen Amtsperiode gerade ohne Nachbesetzung ausgelaufen war. Es sollte bis 2021 dauern - mehr als ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie -, bis diese Schlüsselfunktionen nachbesetzt wurden.
"Zur Verfügung stehende Instrumente nicht genutzt"
Aber auch die türkis-grüne Bundesregierung kommt in dem Bericht nicht gut weg: "Der Rechnungshof konnte nicht nachvollziehen, warum die Bundesregierung die ihr zur Verfügung stehenden Instrumente nicht nutzte, um auf eine Ausnahmesituation wie die COVID–19–Pandemie zu reagieren", heißt es etwa bei der Passage über die Besetzung offener Planstellen. Zu wenig Amtsärzte, zu langsamer Aufbau von Contact Tracing-Kapazitäten - praktisch an allen Ecken und Enden musste die Pandemie in Mangelverwaltung bewältigt werden.
Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern war dabei alles andere als einfach; in den Worten des Rechnungshofes: "Zwischen Bund und Ländern blieb im laufenden Krisenmanagement in der Praxis oftmals unklar, wer wofür verantwortlich war, wer in der Praxis welche Entscheidungen zu treffen und wer diese umzusetzen hatte, weshalb es auch zu Doppelgleisigkeiten kam. So führten die Länder neben dem Epidemiologischen Meldesystem (EMS) des Bundes eigene IT–Anwendungen zur Infektionserfassung ein. Aus den von ihnen erhobenen Zahlen wurden im Krisenstab des Innenministeriums pandemische Lagebilder erstellt, obwohl es dafür den Krisenstab des rechtlich zuständigen Gesundheitsministers gab. Die Unklarheiten führten auch zu einem erhöhten Abstimmungsbedarf und damit zu einem zögerlichen und wenig wirksamen Vorgehen, obwohl ein erfolgreiches Pandemiemanagement schnelle und rechtzeitige Maßnahmen erfordert"
"Herausforderungen des Krisenmanagements bisher ungelöst"
Der Gesundheitsminister - Rudolf Anschober im geprüften Zeitdraum - hätte seine Rolle aktiv wahrnehmen und die notwendigen Maßnahmen der Gesundheitsbehörden in den Ländern (wie etwa Schutzimpfungen, Testungen oder Verkehrsbeschränkungen) stärker leiten, steuern und koordinieren sollen, so die Prüfer: "Bei mangelnder Wirksamkeit der Maßnahmen sollte der Gesundheitsminister eingreifen und gegensteuern."
Ihr frustriertes Resümee: "Zusammenfassend hält der Rechnungshof fest, dass die Herausforderungen des Krisenmanagements in der COVID-19-Pandemie bislang ungelöst waren. Die seit Ausbruch der Pandemie gemachten Erfahrungen wurden zu wenig genutzt, um das Krisenmanagement im Sinne von Lessons Learned weiterzuentwickeln". Der Rechnungshof empfiehlt neue gesetzliche Epidemie- und Krisenmanagementgrundlagen - und besonders eine klarere Regelung der Zuständigkeiten.
Opposition warnt vor dem Herbst
Das Gesundheitsministerium zeigte Verständnis für die Kritik, verwies aber zugleich auf bereits erfolgte Verbesserungen. Der RH habe die durch die Pandemie aufgezeigten Schwachstellen in den Strukturen für das Krisenmanagement klar benannt, hieß es in einer Stellungnahme des Ressorts von Minister Johannes Rauch (Grüne). In den vergangenen zwei Jahren seien aber die Strukturen für das Pandemie-Management laufend verbessert worden. "Das Gesundheitsministerium hat auch die Abstimmung zwischen Bund und Ländern deutlich intensiviert."
Die Opposition fühlt sich hingegen angesichts dieses RH-Berichts in ihrer Kritik an der Regierung bestätigt. FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak befürchtet in einer Aussendung aber, dass die Regierung diesen Bericht ignorieren werde und die "Wurschtelei mit sinnlosen und bürgerfeindlichen Maßnahmen" weitergehen werde. Nach Ansicht von Neos-Pandemiesprecher Gerald Loacker sind ÖVP und Grüne "von Beginn an mehr blind als sehend durch die Pandemie gestolpert, Lernkurve gleich null, und haben am Weg das Vertrauen der Menschen schlichtweg verloren". SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher meinte, leidtragend sei die Bevölkerung, die zwei Jahre lang diesen Zick-Zack-Kurs mitgetragen und jetzt kein Vertrauen mehr in diese Regierung habe. Es gebe auch jetzt keine Planung und Vorbereitung für den Herbst.
Georg Renner